18. August 2024
EOC 2024: Mitteldistanz
Zwei Starts, zweimal Platz 22. Sowohl Ole Hennseler als auch Hanna Müller zeigten im Finale der Mitteldistanz bei den Europameisterschaften starke Leistungen. Besonders die Entscheidung der Herren war stark vom Wetter beeinflusst. Es gewann überraschend der Norweger Eirik Langedal Breivik. Die Konkurrenz der Damen gewann Simona Aebersold (SUI).
Ergebnis
Damen
1. Simona Aebersold (SUI) 40:51 Minuten
2. Natalia Gemperle (SUI) +2:19
3. Andrine Benjaminsen (NOR) +3:18
22. Hanna Müller +9:22
Herren
1. Eirik Langedal Breivik (NOR) 42:34 Minuten
2. Kasper Harlem Fosser (NOR) +0:24
3. Albin Ridefelt (SWE) +1:05
22. Ole Hennseler +6:50
Der Bericht
Es wurde steil, es wurde heiß – die EM Mitteldistanz hielt ihr Versprechen. Fast 400 Höhenmeter auf einer Strecke von 5 km hatten die Herren zu absolvieren, die Damen nicht viel weniger. Zusätzlich gab es felsenreiche Hänge, die in Kombination mit dem unübersichtlichen Wechsel des Bewuchses eine äußerst technische Mitteldistanz boten. „Etwas speziell war, dass man oft unpassierbare, mehrere Meter hohe Felswände trotzdem überqueren konnte, da diese ganz anders als von Tschechien gewohnt nicht so ganz durchgängig sind“, beschrieb Hanna Müller eine Eigenart des Geländes.
Schon der Start hatte es in sich. Auf die Läufer*innen wartete ein relativ gleichmäßiger Anstieg mit diffusen Dickichten. Erst ab Posten drei (Damen) beziehungsweise 4 (Herren) warteten drohend die Felsen, doch bereits diese ersten Posten sorgten für eine Vielzahl an Fehlern, wenn Läufer*innen die Richtung nicht ausreichend genau hielten. Der Übergang in die Felsen hielt die nächste Fehlerquelle bereit: Schräg zur Höhe laufend musste der richtige Bergrücken gefunden werden. Blieb man aber zu hoch, so hatte dieser noch nicht begonnen und man überlief ihn schlicht. Hatte man im Labyrinth der Felsen die nächsten beiden dichten Posten gefunden, so wartete der nächste anspruchsvolle Posten gleich am ersten TV-Posten. Auf den ersten Blick wirkte es, als müsse im felsigen Hang fast die Höhe gehalten werden, tatsächlich aber war der Posten rund 30 Höhenmeter weiter oben. Ohne sinnvollen Punkt zum Wiedereinlesen gingen bei vielen Minuten verloren. Die Fehlermuster der folgenden Posten, alle ähnlich: Die Kompassrichtung, wenn senkrecht auf einen Hang zugelaufen wurde, stimmte nicht, Parallelfehler bei den vielen Nasen und Rücken im Hang, die Postenhöhe im Hang wurde nicht getroffen, die Entfernung im Hang stimmte nicht. Warum so viel zu Fehlern? Weil so viele gemacht wurden.
Unsere beiden deutschen Starter*innen allerdings konnten solche größeren Fehler vermeiden und wurden mit entsprechend starken Ergebnissen belohnt.. Am Mittag war zunächst Hanna Müller im Damenrennen an der Reihe. Ihr passierte gleich zu Posten zwei im vermeintlich noch einfacheren Teil eine Unsauberkeit. Nachdem sie an Posten eins bereits die vor ihr gestartete Tschechin Barbora Matejkova aufgelaufen hatte, passte bei beiden die Kompassrichtung nicht gut. 1:30 Minuten Fehler, wie am Tag zuvor ein etwas missglückter Start. Die Fehlerzeit aber ließ sich verschmerzen, auch dadurch, dass die Österreicherin Jasmina Gassner nun bereits fast zu beiden aufgeschlossen hatte. Ab Posten fünf waren sie dann zusammen und unter wechselnder Führung sammelten die drei eine zuvor gestartete Konkurrentin nach der anderen ein. Immer wieder wählten sie unterschiedliche Mikrorouten, letztlich lief es aber immer wieder zusammen. Von der zusätzlichen Sicherheit und dem Tempo profitierte Hanna sicherlich. Am Ende stand Platz 22, 9:22 Minuten hinter der Spitze – ein recht großer Rückstand auf einer Mitteldistanz, der aber mit dadurch bedingt wurde, dass die Bahn (nicht nur bei den Damen) rund fünf Minuten zu lang war. Sogar an der Spitze maß sich der Abstand eher in Minuten als in Sekunden. Platz fünf dagegen war nur noch rund vier Minuten von Hanna entfernt.
Ole Hennseler erreichte ebenfalls Platz 22. Sein Rückstand betrug 6:50 Minuten, für gewöhnlich ist das Feld bei den Herren etwas enger als das der Damen. Er schaffte es sogar, seinen Lauf gänzlich ohne offensichtliche Fehler ins Ziel zu bringen. Sein größter Zeitverlust geschah ihm auf dem Überführungsposten zu Posten 14, durch zu wenig konsequente Ausführung, anschließend stieg er eine Felswand zu tief in den Hang ein und musste einige Höhenmeter extra nehmen. Außerdem noch ein Abstoppen zu Posten 4 vor dem Felslabyrinth: „Ich habe auf der Nase [zu Posten 4] bestimmt 15s gestanden und alle Felsen zugeordnet, bis ich genau wusste, wo ich runter muss. Hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt, aber wahrscheinlich gelohnt“, erzählte er. Diese zwei einzigen Unsauberkeiten auf dieser Bahn waren eine hervorragende Leistung, die zurecht mit jenem 22. Platz belohnt wurde. Hervorzuheben auch: Während viele Konkurrenten zumindest zeitweise von Trams und anderen Läufern profitierten, war der Kameramann wohl der einzige, den Ole im Wald zu Gesicht bekam.
International
Das Rennen startete am Mittag bewölkt und für den Großteil des Damenfeldes mit Regen. Warm, aber noch war das Wetter kein entscheidender Faktor. Jasmina Gassner (AUT), Tramkollegin von Hanna, setzte eine frühe Bestzeit, die lange Bestand hatte. Auch Insider hätten wohl nicht damit gerechnet, dass sie mit einer Zeit von 48 Minuten derart lange auf dem Leader’s Chair würde ausharren dürfen. Es reichte am Ende für Platz 11. Paula Gross (SUI) lief eine halbe Stunde später und übernahm die Bestzeit, doch auch sie war nur etwa zwei Minuten schneller. Als Natalia Gemperle (SUI) weitere dreißig Minuten später in den Wald ging, schien zum ersten Mal eine Zeit in Richtung der 40 Minuten möglich. Die Geschichte des Rennens will es so: Auch Gemperle blieb nicht fehlerfrei und verlor Zeit. Die 40 Minuten blieben also in weiter Ferne, ebenso hochdie Herausforderung, es selbst besser zu machen und die Zeit Gemperles zu unterbieten. Für die meisten ihrer Gegnerinnen endete diese Mission frühzeitig. Fehler geschahen in Mengen, und wer früh Fehler machte, bekam durch die zu lange Strecke noch zusätzlich das Gefühl langsam zu sein. Die beiden beherrschenden Athletinnen der letzten Jahre gingen zum Ende des Startfeldes auf die Strecke. Tove Alexandersson aber verpasste den Einstieg zu Posten drei und verlor schon früh im Rennen mehr als drei Minuten – aber wer würde die Schwedin schon abschreiben, nach den diversen Comebacks, die sie auch nach großen Fehlern in den letzten Jahren gezeigt hatte? Sie holte Zeit auf, zwischenzeitlich sogar mehr als eine Minute, doch an die Zeit von Gemperle schaffte auch sie es nicht mehr heran. Doch eine kam noch, die zeigte, dass sie das Gelände im Griff hatte und der Vorsprung in der Quali nicht von ungefähr kam: Simona Aebersold (SUI) lief so nahe am Optimum, wie es bei diesem Wettkampf wohl möglich war. Entsprechend feierte sie im Ziel ihren Sieg. Eine Norwegerin ging im Duell der beiden Spitzenläuferinnen dieser Tage ein wenig unter: Andrine Benjaminsen zeigte die technisch vielleicht beste Leistung aller, verlor nur an zwei Stellen mehr als dreißig Sekunden auf die Bestzeit. Ihr fehlt etwas das Tempo, das Aebersold, Alexandersson oder auch Gemperle mitbringen. Mit technisch einwandfreien Läufen schafft sie es immer wieder vorn mitzumischen und konnte an diesem Tag auch Alexandersson ein Schnippchen um die Bronzemedaille schlagen.
Der Regen hörte für die Herren auf. Zunächst war es noch bewölkt, später brannte wieder die Sonne vom Himmel. Das Wetter, zeigte sich, wollte einen mitentscheidenden Einfluss auf das Herrenrennen spielen. So entpuppte es sich bei Weitem nicht als Nachteil, wenn man in der Qualifikation auf einem der hinteren Plätze landete und somit früh in den Wald gehen durfte. Einer dieser Läufer war Kasper Fosser (NOR). Der 25-jährige Norweger wollte es nach einem mittelmäßigen Qualifikationslauf besser machen und schickte sich an, es Lebensgefährtin Aebersold bei den Damen gleichzutun. Nach einer kleinen Richtungsabweichung zu Posten eins behielt er die Kontrolle und blieb für einen Großteil der Strecke fehlerfrei. An Posten 12 lief er den bis dorthin starken Tschechen Tomas Krivda auf, nachdem dieser sich nach ungenauer Kompassarbeit Posten 13 zweimal anschauen wollte – einmal ohne, einmal mit Begleitung Fossers. Die beiden sammelten gemeinsam einige weitere Konkurrenten ein. Erst an den letzten Posten offenbarte Fosser Schwierigkeiten: Er stieg zu spät in den steilen Schlusshang ein, verlor noch fast eine Minute auf Krivda bis ins Ziel. In der traditionell dichten Spitze des Herrenfeldes konnte das nicht zu einer Podestplatzierung oder gar dem Sieg reichen, oder?
Kurz nach Fosser kam ein Teamkollege: Eirik Langedal Breivik. Der Norweger war schon immer mal wieder in die erweiterte Weltspitze vorgestoßen, sein bestes Weltcupergebnis bisher: Platz 7 über die Langdistanz im heimischen Fredrikstad im letzten Jahr, bisher die einzige Top10-Platzierung. Ein Podest- oder sogar Sieganwärter? Eher nicht. Breivik belehrte uns eines Besseren und lieferte ein starkes Rennen ab. Er war zwar etwas langsamer als Fosser unterwegs, fünf Posten vor Schluss hatte er rund eine Minute Rückstand. Aber er lief blitzsauber und fand den Einstieg zu Posten 20 perfekt. 24 Sekunden Vorsprung auf Fosser. Aber da kamen ja noch Konkurrenten, oder? Die nächsten Starter erreichten weder die Zeit von Breivik noch von Fosser. Der nächst stärkere Läufer war Loic Capbern (FRA, später 5.), er blieb aber sogar hinter Krivda zurück. Und mit der Zeit nahm der Einfluss der Temperatur immer stärker zu. Im Normalfall sind große Fehler auf diesem Niveau eher Mangelware, jetzt sah man sie reihenweise und es war ein seltener Einzelfall, wenn ein Läufer ohne Suchaktion durchkam. Der Einzige, der gleichzeitig noch ein Tempo halten konnte, welches zum Sieg gereicht hätte, war Albin Ridefelt. Er lag am zweiten TV-Posten nur fünf Sekunden hinter Fosser, der ja bekanntermaßen noch eine Minute im Schlusshang verlor. Dann tat es Ridefelt dem Norweger gleich und suchte den 20. Posten über eine Minute. Letztlich wurde er dritter. Währenddessen passierten den weiteren Favoriten Fehler, die viele wohl nicht für möglich gehalten hätten. Der Weltcupführende Martin Regborn lief im Kampf um die Medaillen durch einen krassen, aber bei müdem Kopf sehr verständlichen Parallelfehler zu jenem 20. Posten sogar aus der Karte. Daniel Hubmann, ebenfalls auf Medaillenkurs, überlief den 19. Posten. Er merkte es noch eine Minute später, doch über zwei Minuten Zeitverlust waren natürlich zu viel. Und sie waren noch zwei derjenigen, denen es nicht ganz katastrophal erging – von den letzten 10 Startern, denjenigen, die in der Qualifikation die Besten gewesen waren, kamen nur fünf in Wertung ins Ziel. So viele Aufgaben auf einer Mitteldistanz (!) gab es auf dem Niveau wohl noch nie.
Für alle galt nach dem Lauf: Schnellstmöglich erholen! Die Langdistanz sollte bei Temperaturen deutlich über 30°C nicht weniger belastend werden.