15. Juli 2019
Elitetipp im Juli: Mentales Training
Kennt noch jemand den 'Hackel-Schorsch', der von 1987 an 18 Jahre lang zu den besten Rennrodlern der Welt gehörte? Er war im Jahr 2002 der 'Aufhänger' für den Elitetipp über mentales Training. Und weil wir so gerne an diese Zeit und ihre 'Typen' erinnert werden, hier der damalige Elitetipp im Original.
In den Tagen von Salt Lake City (Anm.: Olympische Spiele von 2002) konnte man schon komische Gestalten sehen. Da steht zum Beispiel ein kleiner, leicht untersetzter Mann mit Schnurrbart in einem zu denken gebenden hautengen Anzug auf einer Eisfläche herum. Die Augen sind geschlossen und die Arme nach vorne gestreckt. Würde das nicht schon für eine gewisse Komik reichen, fängt der nun auch noch an, mit dem Oberkörper sich nach rechts und nach links zu winden. Sein Name: 'Der Hackl Schorsch', aber was macht er da? Die Antwort ist MENTALES TRAINING! Mentales Training, oder allgemein gesagt psychologisches Training, richtet sich auf die handlungsbedingenden und regulierenden Abläufe (motivatonale, emotionale und kognitive Prozesse) im Sport. Es ist also möglich, wenn z.B. öfter die Motivation am Start fehlt, die Nervosität allgemein einen hemmt oder die Konzentration während des Wettkampfes verloren geht, diese negativen Einflüsse für ein optimales Endergebnis, im Vorfeld positiv zu beeinflussen. Die Bewegungen und das Handeln an sich beruhen auf Bewegungsvorstellungen (Wie funktioniert das?) bzw. Handlungsplänen (Was muss ich wann machen?). Diese Vorstellungen und Pläne für sich positiv zu nutzen, bedingt die geistige Aufnahmefähigkeit und Bereitschaft etwas zu lernen. Das Ziel des mentalen Trainings liegt darin, durch eine Beeinflussung psychischer Leistungsfaktoren die Befindlichkeit des Sportlers / der Sportlerin in Hinblick auf die optimale Leistungsfähigkeit zu verbessern. Besonders in unserer Sportart kann man durch diese 'Beeinflussung' einen großen Leistungsvorteil erreichen. Der OL kennzeichnet sich vor allem dadurch aus, dass man immer wieder neue Situationen bewältigen, ständig flexibel auf neue, manchmal auch widrige Umstände reagieren und dann agieren muss. Genau dass ist ja der Reiz des OLs. Zudem kommt noch der hohe Zeitdruck, diese Situationen möglichst schnell zu bewältigen, wofür das mentale Training eine wichtige Stütze sein kann.
Wie funktioniert das mit dem mentalen Training? Da gibt es verschiedene Varianten und Möglichkeiten, die für mich unter anderem regelmäßig in Frage kommen: 1. Nachbetrachtung Bei längeren Ausdauerläufen hat man sehr viel Zeit zum Denken, meistens zu viel Zeit. In solchen Fällen kann man sich die Laufkarte des letzten Wettkampes mitnehmen und sich den Lauf nochmals in Erinnerung rufen: Strecke, Karte, Umgebung, Wetter bis hin zu anderen Personen, die einem über den Weg liefen. Ganz wichtig sind die Gefühle und Gedanken während des Laufes. Wie und wann hatte ich die erste Ahnung, dass der Übergang in die Hose geht? Wie war es, als ich einen schwierigen Posten sauber anorientiert habe? Wieso ließ ich mich von anderen ablenken? Diese Ansatzpunkte noch einmal zu durchleben festigen Erfahrungen, aus denen man für die nächsten Läufe lernen sollte.
2. Vorwegnahme I Wieder hat man beim Training die Zeit sich Gedanken zu machen. Dieses Mal versucht man, sich auf einen kommenden Lauf mental einzustellen, indem man mit Hilfe seiner früheren Erfahrungen mögliche Situationen vorweg nimmt. Wie wird das Gelände aussehen? Wie gehe ich Routenwahlen an? Wie gehe ich den ersten Posten an? Mit allen Informationen (z.B. Ausschreibung, alte Karten, …) die man zur Verfügung hat, versucht man sich ein Bild zu machen, um sich auf möglichst vielen Eventualitäten vorzubereiten, um dann wenn es ernst wird, schneller reagieren und agieren zu können. 3. Vorwegnahme II Neben dem speziellen Orientieren kann man auch andere Situationen vorwegnehmen. Ganz wichtig z.B. für Staffelstarts, wenn man jemanden einholt oder (leider) eingeholt wird. Postencode stimmt nicht, Kartenfehler bis zum Fehlen eines Postens. Wie will man in diesen Situationen agieren? Dabei sollte man sich nicht destruktiv an die Gedanken machen, sondern so lange die Situationen im Kopf durchspielen, bis man sich als Sieger sieht. THINK POSITIV! 4. Entspannungsübung Zu viel Training und andere Sorgen im Leben? Wer kennt das nicht, aber beim Wettkampf sollte man sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Dazu sollte man, im Gedenken an Boris Becker, der besonders die zahlreichen engen Matches 'im Kopf' gewonnen hat, mental ausgeglichen sein. Beispiel: Musik hören und dabei die Gedanken sortieren, ruhig und entspannt dabei auf dem Rücken liegen, oder eine bequeme Sitzhaltung einnehmen. In der Ruhe liegt sprichwörtlich die Kraft; nehmen wir uns diese Ruhe und die Zeit, denn Hektik bringt sicherlich nichts. Diese Entspannungsübungen gehen je nach Typ Mensch soweit, dass man völlig abschaltet und nachdem man die einzelnen Körperteile im Liegen abruft (Wo ist mein Arm? Wie liegt er auf dem Boden? Wo spüre ich mein Bein? …) und die Atmung kontrolliert (bewusstes Atmen! Bauchatmung, Lungenatmung, spüren wie die Luft durch den Mund/Nase in den Körper einströmt und wieder hinauskommt), an fast nichts mehr denkt. Wer seinen Körper anders abschalten, entspannt geistige Arbeit verrichten will, der kann z.B. die Puzzle von Ravensburger Krypt I-III ausprobieren. Jeder muss sich seine eigene Mischung aus diesen Varianten aussuchen, bzw. auch weitere Varianten hinzufügen, da jeder verschieden ist. Probiert es mal aus, wenn Ihr es nicht sowieso schon auf irgendeine Weise macht. Das Denken muss nicht erst im Startaugenblick anfangen! Autor: Christian Rossnegger Der Elitetipp erscheint monatlich auf orientierungslauf.de. In ihm werden verschiedene Leute über spezielle Themen im OL berichten, mit denen sie sich auskennen. Der Elitetipp soll dazu anregen, selbst darüber nachzudenken, was man alles besser machen könnte im OL. Hast Du Lust, auch über ein Thema zu schreiben, wo Du Dich auskennst? Oder willst du ein Thema vorschlagen, das mal behandelt werden sollte? Fragen, Anregungen, Kritik? Mail an ingo.horst@web.de!