04. September 2007
Weltmeisterschaft 2007 - Geht die WM vor die Hunde?
Im Vergleich zur letztjährigen WM in Dänemark konnte die in Kiew ausgerichtete Weltmeisterschaft nicht mithalten - aber ehrlich gesagt hatte das auch keiner erwartet... Doch viele Probleme in organisatorischen oder anderen Bereichen lösten sich früher oder später, entweder durch den bemühten Veranstalter oder letztendlich durch darüber Hinwegsehen und die dicke Haut der Athleten und Trainer. Auch im wörtlichen Sinne ging die WM vor die Hunde, machten zumindest im Vorfeld Gerüchte über die frei laufenden Hunde in den Wäldern um die Hauptstadt die Runde. So wurde auch das deutsche Herrenteam beim Staffelabschlusstraining komplett von mehr als 10 Hunden umstellt und konnte sich nur mit einem „Überraschungssprint“ retten …
Nach einigen Rücktritten vom internationalen OL, Prioritäten im Studium oder Beruf, Verletzungen oder Krankheiten war in Kiew die kleinste WM-Mannschaft seit vielen Jahren am Start. Es war auch das erste Mal, dass keine Staffel gemeldet wurde und nicht alle Startplätze bei den Qualifizierungsläufen genutzt wurden! Eine sicherlich nicht zufrieden stellende Entwicklung des Spitzensports OL in Deutschland. Die Hauptaufgabe der beiden betreuenden Trainer Bjørn-Axel Gran und André Kwiatkowski war es deshalb diese strukturellen Probleme des deutschen OL von den Athleten fern zu halten und die Konzentration voll auf das deutsche WM-Team und dessen Möglichkeiten zu legen. Die Ergebnisse sind nun schon wieder Geschichte, und der Blick ist auf die nächsten WMs in Tschechien (2008) und Ungarn (2009) gerichtet. Das Leistungsniveau ist weiter gestiegen, immer mehr Nationen drängen in die Finals (Israel, Moldavien!). Ein Novum sind auch die zwei Goldmedaillen auf der Langstrecke der Damen, die zwei Siege (Mittel und Sprint) vom „König der Mitteldistanz“ Thierry Geourgiou und die Teilnahme von Mutter und Tochter im Vorlauf der Mitteldistanz. Für die deutsche Mannschaft kann man insgesamt festhalten, dass
- Leif Bader seine Führungsrolle innerhalb des deutschen Teams mit Bravour angenommen hat!
- Christiane Tröße und Meike Jaeger World-Cup-Punkte sammelten und genau so viel A-Final-Platzierungen erreicht haben wie das Damenteam von 2006!
- Christoph und Patrick Hofmeister sicherlich nicht ihre Ziele erreicht haben, aber im Hinblick auf das weiterhin immer stärker werdende Starterfeld bei den Herren den Kampf um die A-Final-Platzierungen angenommen haben.
Im Folgenden schildern die deutschen Teilnehmer in der chronologischen Abfolge der WM-Woche ihre jeweiligen Eindrücke. Das Team hat sich für diese ungewöhnliche Berichterstattung entschieden, um zum einen die WM-Berichterstattung über das „Tagebuch“ abzuschließen und auf der anderen Seite den deutschen OLern einen möglichst persönlichen und tief greifenden Einblick in die Geschehnisse zu ermöglichen. Seine Eindrücke vom ersten Wettkampftag, der Sprint-Qualifikation, schildert Patrick Hofmeister: „Der WM Auftakt ist ja sowieso immer etwas besonderes, die Transportvariante zum Start mit der Metro, 40 minütiges Warten auf den Busshuttle und somit nur 30 Minuten Startvorbereitung brachten nicht gerade Ruhe in die Vorbereitung. Dennoch konnte nach Plan gestartet werden. Das Rennen war technisch nicht besonders selektiv, jedoch forderte die Hitze von 35 Grad im Schatten den Läufern alles ab, so dass sich wohl keiner richtig gut gefühlt hat während des Wettkampfs. Der Großteil der Bahn verlief im offenen Hochwald mit sehr guter Sicht und Belaufbarkeit, jedoch auch mit einigen kurzen steilen Anstiegen. Die Routenwahlen waren relativ einfach. Es kam also v.a. darauf an, das Tempo hochzuhalten und sich am Ende noch ein Mal auf ein paar kniffligere Postenübergänge in steilen Muldensystemen zurecht zu finden. Leif gelang ein hervorragender Rennen und er belegte den 7. Platz in seinem Vorlauf.“ Leif qualifizierte sich damit als Einziger für das Sprintfinale am Abschlusstag der WM. Christiane schied leider sehr unglücklich als 16. ihres Vorlaufs aus, qualifizierte sich dann aber zwei Tage später als einzige des deutschen Teams für das Finale der Mitteldistanz. Ihre Eindrücke zu diesem Rennen bei ihrem WM-Debüt: „Trotz der frühen Startzeit war es schon warm im Wald. Bei den Qualiläufen hatte noch Hochnebel vor der schlimmsten Hitze geschützt. Die stipulierten Zeiten ließen auf ein ähnlich grünes Gelände wie schon in der Quali schließen. Kartenkontakt und genaue Postenarbeit würden wieder der Schlüssel zum Erfolg sein. Zum ersten Posten lief ich kontrolliert und konzentriert, aber schon auf dem kurzen Übergang zum zweiten verspielte ich meine Chancen auf einen richtig guten Lauf. Die erwarteten Senken tauchten nicht auf, ich war 90 Grad falsch gelaufen. Einlesen war bei schlechter Sicht und den undeutlichen Höhenstrukturen erst auf einem Pfad möglich, doch auch der Weg dahin kostete viel Zeit. Zum 3. Posten wählte ich eine lange Außenrumroute, 4. und 5. mussten direkt angelaufen werden, dann wieder eine lange Routenwahl, auf der ich einen Pfad nutzte. Auch zu 7., 8. und 9. hätte man Pfade nutzen können, ich entschied mich aber hier für die direkte Route. Hier hieß es einfach sich so gut wie möglich durchs Dickicht zu kämpfen ohne stehen zu bleiben oder die Richtung zu verlieren. Nicht gerade einfach, eine solche Bahn zu genießen... Der 10. Posten war Kameraposten, gefolgt von einer Sichtstrecke durchs Zielgebiet. 11., 12. 13. und 14. waren relativ einfach, aber meine müden Beine schienen nicht zu einer Tempoerhöhung zu bewegen zu sein. Irgendwie schaffte ich es bis ins Ziel, und nach einiger Zeit gelang es mir dann auch, meine gefühlte Körpertemperatur von 50 Grad wieder ein wenig zu senken. Der kühle Kopf, den ich in der Quali bewahrt hatte, fehlte mir in diesem Finallauf, aber über meine ersten beiden Weltcuppunkte und den 39. Platz habe ich mich trotzdem sehr gefreut.“ Mit diesem Lauf hat Christiane sicherlich mehr als die viel zitierte Feuertaufe bei einem WM-Finale bestanden! Leider zeigte sich aber in Kiew auch, dass die Mitteldistanz nicht die deutsche Disziplin ist - ganz im Gegensatz zur Langdistanz, wo Leif, Meike und erneut Christiane sicher das Finale erreichten. Dazu Meikes persönliche Eindrücke: „Es war ein sehr langer Tag, der Tag des Langstreckenfinales, der mit einem frühen Aufstehen um 6:15 (5:15 dt Zeit) begann. Die Anfahrt zum Wettkampf ging lang, länger als geplant (und das waren schon lange 90 min), da das übliche organisatorische Transportproblem auftrat (15 min später losgefahren, Zwischenstopp unterwegs, verfahren in Sackgasse,…), so dass der eine oder andere Läufer im Bus schon etwas unruhig wurde – ich nicht, denn solche kleinen Pannen hatten wir inzwischen in unseren Zeitplan schon einkalkuliert, für mich begann eher das lange Warten bis zu meinem Start. Beim Einlaufen auf einem Miniatur -Kartenausschnitt machte ich meine erste Begegnung mit den „wilden“, ukrainischen, von allen OL`ern gefürchteten Hunden, der allerdings harmlos verlief - doch ich wurde etwas ängstlich – vielleicht würde einer seiner Hundekollegen im Wettkampfwald auf mich warten,…Überhaupt gab es in diesem Lauf viele Unbekannte: Ein Kartenwechsel- keiner wusste wann, ein Gabelsystem, keiner wusste wo, und keiner wusste was für eines, ein 800m Vorstart, keiner wusste warum- oder sollte der Start auf der Zielwiese sein? Wir waren auf alles eingestellt, auf Müll im Wald, auf Routenwahlprobleme jeglicher Länge, auf Hitze, auf die tiefen, steilen und unübersichtlichen Bachtäler, auf wechselnde Belaufbarkeit, wechselnde Orientierungsansprüche,…die Trainer hatten uns auf alles vorbereitet- so konnte uns nichts mehr überraschen. Der Wald war sehr offen, und im Gegensatz zu den Trainings gut belaufbar - trotzdem startete ich ein bisschen verhalten, um in die Karte/Gelände etwas rein zu kommen. Nach dem ersten Posten versuchte ich dann das Tempo zu steigern und nach 80 min nur noch irgendwie bis zum Ziel durchzuhalten. Die lange Routenwahl zu Posten 4 (2,5km lang) konnte ich vorplanen, hatte allerdings übersehen, dass keine Brücke über denn breiten Fluss führte,…Am 4. Posten holte mich Hanny Allston (2 min nach mir gestartet) ein, wählte wohl eine andere Route, denn ich habe sie erst im Ziel wieder gesehen, es gab zahlreiche Routenmöglichkeiten. Im weiteren Wettkampfverlauf gab es immer wieder viele weitere, kleine Routenwahlaufgaben, die es zu lösen galt aber wenn man sich für eine entschieden hatte, dann war eher die Groborientierung gefordert. Die Bahn der Männer ging im Gegensatz zur Frauenbahn viel häufiger in die fein gegliederten Bachtäler rein. 6.Posten habe ich mich bei einer Route umentschieden - das was man nie machen soll- die neue Route war zum einen schlechter, zum anderen macht ich noch einen 3 min Fehler,…dort überholte mich Sara Gemperle aus der Schweiz (4 min nach mir gestartet), mit der ich wieder ab Posten 11 in Sichtkontakt kam. Der Wettkampf war sehr laufbetont, das Gelände ähnelte einem deutschen Mittelland Wald. Die Strecke war insgesamt sehr lange und hart- die Veranstalter hatten sich verschätzt, die Siegerzeit betrug 80 anstatt 70 min- für mich betrug sie 100min, die endlos lang erschienen und ich kämpfte um jeden Meter, um jede Sekunde, versuchte mich immer wieder selbst zu motivieren, schneller zu laufen und das fiel immer schwerer. Sehr heißer Tag, ich freute mich über jeden der 5 (!) Getränkeposten, trank mehr denn je und schüttete mir Wasser zur Abkühlung über den Kopf (und trotzdem dauerte die Dopingkontrolle 2 Std,…). Die Gabelungen erfolgten erst am Ende der Strecke und nur ein Posten war bei den Damen gegabelt- ich persönlich denke, dass mit diesem Gabelsystem auf einer Langestrecke bei 2 min Startabstand zu wenig Trams gesprengt wurden (zu spät und zu wenig Gabelposten) einige Läufer trafen direkt nach der Gabel wieder aufeinander. Der Lauf war sehr lang und u.a. durch die Hitze besonders hart, im Ziel wurde erst mal getrunken und das am besten im Liegen, direkt nach der Ziellinie…“ Leif schilderte seine Eindrücke vom Langfinale in einem Interview wie folgt: 18,2 km, 550Hm, was denkt man bei solchen Bahndaten? - Naja, letztes Jahr in Dänemark habe ich mich davon noch einschüchtern lassen, vielleicht auch von außen, weil doch viele Fragen kamen, wie man solch eine Strecke durchhält. Aber dieses Jahr war die Vorbereitung trotz einer Verletzungspause im Juni/Juli insgesamt besser. Ich wusste, dass ich das durchlaufen kann. Dein Kommentar zu deinem Lauf und zur Bahn? - Im Nachhinein würde ich die Bahn fast als einfach bezeichnen. Es gab auch nicht so schwierige Routenwahlen wie z.B. in Dänemark. Die einzige lange Routenwahl konnte man schon im Anfangsteil der Strecke gut vorbereiten. Die Bahnleger haben die diffizilen Täler am Anfang und Ende der Strecke eingebaut, dazwischen galt es die ganze Zeit das Tempo hochzuhalten und im diffusen Grün sicher mit dem Kompass zu laufen. Die Belaufbarkeit war überwiegend sehr gut, fast wie in Deutschland und viel besser als im Lang-Vorlauf, es gab kaum offene Gebiete. Leider habe ich gegen Ende der Strecke noch ca. 1min verloren, als ich im Postenkreis zweimal am Posten vorbei gelaufen bin, im übrigen war der Lauf nahezu fehlerfrei. Hattest du im Wald Gegnerkontakt/Trams? - Nur zeitweise, zudem war die Strecke im Schlussteil etwas seltsam gegabelt, wodurch einige Posten doppelt angelaufen wurden. Aber es gab nur wenig Trams.
Am Tag des Langfinales folgte noch das wenig feierliche und leider schlecht organisierte Bankett. Schade, hatten sich doch alle Nationen sehr darauf gefreut! Der nächste Tag, ein Ruhetag. Für die deutschen Damen war nun eigentlich schon Schluss, da keine Damen-Staffel gelaufen und sich weder Christiane noch Meike für das Sprint-Finale qualifiziert hatten. Dennoch unterstützen die beiden nach einer kurzen Kultur- und Shoppingtour durch Kiew vorbildlich das restliche Team, zumal auch kein männlicher Ersatzläufer nominiert war. Das Herrenteam absolviert das oben schon erwähnte Staffeltraining und trug dabei einen deutlichen Sieg über „eine Bande von Hunden“ (Zitat Bundestrainer Gran) davon. Die Staffel am Samstag stand dann leider unter keinem guten Stern. So knickte Startläufer Patrick Hofmeister gut im rennen liegend nach ca. der Hälfte der Strecke schwer um und konnte nur unter Schmerzen das rennen zu Ende bringen. Vorbildlich seine kämpferische Leistung! Wie dieses Rennen für Christoph Hofmeister auf der zweiten Strecke verlief schildert er nachfolgend: „Patti lief auf der Startstrecke eigentlich gut an, er war am Start ganz vorne mit dabei und war auch beim ersten Radioposten in der ersten größeren Verfolgungstram dabei. Zum Getränkeposten knickte er dann um und musste den Rest des Rennens mehr oder weniger humpelnd zu Ende bringen und kam an- und vor allem niedergeschlagen ins Ziel. Ich wartete lange auf meinen Startläufer und musste direkt mit ansehen, wie Japan, China, USA und Kanada vor mir den Wechselraum verließen... Zum ersten Posten verlor ich eine knappe Minute, weil ich den Posten weiter im Hang erwartet hatte, im weiteren Verlauf des Rennens konnte ich aber konzentriert die Routenwahlen lösen und 8 Läufer überholen. Somit ging Leif an Position 23 in den Wald. Seine Aufgabe war es, einen Lauf ohne Fehler zu machen, um in ruhigem Tempo nicht zu viel Zeit zu verlieren. Seine Priorität lag, gerade auch nach Pattis Ausfall, auf dem Sprintfinale am folgenden Tag. Leif löste seine Aufgabe mit der gewohnten Routine und kam recht entspannt auf Position 23 ins Ziel. Letztendlich muss man leider davon sprechen, das wir alle uns von der Staffel mehr erhofft haben, aufgrund der besonderen Konstellation jedoch die Erwartungen bereits nach dem ersten Läufer komplett reduziert wurden.“ Die Staffelwettkämpfe bildeten in Kiew nicht wie eigentlich üblich den Abschluss, sondern am Sonntag folgte noch das Sprintfinale, wieder mit Leif: „Ich hatte keine großen Erwartungen, da ich ja nicht der typische Sprintläufer bin. Eigentlich mag ich Sprint gar nicht so gerne, daher habe ich vor der WM auch nur eher zufällig noch 4 Sprinttrainings gemacht. Ziel war daher einfach mal zu sehen was möglich ist und Spaß haben - so wie im Vorlauf. Aber mit 5 anderen Läufen in den Beinen war die Spritzigkeit nicht mehr so wie zu beginn der Woche - mein Durchschnittspuls war deutlich niedriger als im Vorlauf! Vom Gelände her war der Lauf sehr schön, im botanischen Garten, mit Häusern, vielen Wegen und Hecken eher Sprint-typisch als der Vorlauf. Der Anfangsteil der Bahn lief prima, doch gegen Mitte der Bahn wurde ich eingeholt. Natürlich versucht man da das Tempo mitzugehen, was natürlich Fehler geradezu provoziert. Nach einem kleinen Schlenker zu Posten 12 waren es dann nur noch 2 sehr ähnliche Posten - beide zwischen Dickichten direkt neben dem Weg - bis ins Ziel. Aber da war ich dann schon so "grau" dass ich an Posten 13 im Kopf schon bei Posten 14 gestempelt hatte und von dort ins Ziel orientiert habe. Und durch die kurzen Postenabstände ist mir das von der Entfernung auch nicht aufgefallen, umso größer war dann die Enttäuschung im Ziel. Aber vielleicht ist das ja ein Anlass, doch mal etwas mehr Sprint zu trainieren... Direkt im Anschluss an die Siegerehrung machte sich das deutsche WM-Team auf den Rückflug nach Hause, mussten doch alle am Montag arbeiten oder studieren. Wir hoffen, mit diesem sehr persönlichen Bericht einen Eindruck von der WM-Woche in Kiew gegeben zu haben, der für alle, die das Team unterstützt haben, Motivation genug ist, weiter zu arbeiten und Kurs auf die WM 2008 in Tschechien zu nehmen (www.woc2008.cz). Ein persönlicher Abschlussbericht aus Aktiven- und Trainersicht in Ergänzung zum WM-Tagebuch redaktionell bearbeitet von Co-Bundestrainer Herren, André Kwiatkowski.