14. Juli 2023
WOC Langdistanz

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Steile Anstiege, steile Abhänge und viele Geländewechsel erwarteten die StarterInnen auf der Langdistanz der Weltmeisterschaften. Nach 11 physisch äußerst fordernden Kilometern für die Damen, 14 Kilometern für die Herren, fanden sich mit Simona Aebersold (SUI) und Kasper Fosser (NOR) würdige SiegerInnen. Beste Deutsche wurde Hanna Müller auf Platz 29.
Ergebnisse:
Damen
1. Simona Aebersold (SUI) 81:43 Minuten
2. Tove Alexandersson (SWE) +0:31
3. Andrine Benjaminsen (NOR) +7:20
29. Hanna Müller +26:09
37. Paula Starke +34:30
Herren
1. Kasper Harlem Fosser (NOR) 93:06 Minuten
2. Matthias Kyburz (SUI) +0:51
3. Olli Ojanaho (FIN) +4:31
40. Erik Döhler +26:59
48. Ole Hennseler +30:17
Der ausführliche Bericht:
„Ich denke das war eine meiner besten Langdistanzen auf Elite-Niveau.“ Als beste Deutsche wurde Hanna Müller 29., auch wenn der Rückstand mit gut 26 Minuten sehr groß war. Sie berichtete von einem ziemlich konstanten Lauf mit nur wenigen, kleinen Unsicherheiten ohne größere Fehler. Auch die Startüberhöhung und das alpine Gelände zu Beginn kamen ihr entgegen, in der Schweiz lebend ist sie solches Gelände schon seit längerem gewohnt – nicht erst seit der WM-Vorbereitung in den letzten zwei Jahren. Der große Rückstand ist sicherlich nicht verwunderlich, angesichts dessen, wie die beiden Erstplatzierten das Feld pulverisierten.
Acht Minuten dahinter platzierte sich Paula Starke als zweite deutsche Starterin auf Platz 37. Sie erreichte damit ihr Ziel einer Top40 und berichtete: „Für meine Verhältnisse [war das] streckenweise sehr stark. […] Die Bahn, das Publikum im Zielsprint, mal für eine Weile auf dem Leaders Chair sitzen… einfach mega.“
Im Gegensatz zu Hanna passierten ihr einige größere Zeitverluste, wohl auch, weil sie im Gelände so schnell wie wohl noch nie auf einer Langdistanz lief. Gleich an Posten sechs passierte ihr das erste Missgeschick, als sie auf der kurzen Passage zu tief im Hang blieb und gleich an Posten sieben landete, stempelte und zu Posten acht weiterlief. Es rettete sie wohl die aufgelaufene Türkin, die zuvor an ihren Fersen geklebt hatte und auf einmal nicht mehr da war.
Ein weiterer Fehler passierte zu Posten neun, als Paula – voll im Flow zu diesem Zeitpunkt – das Gel im Laufen aß, anstatt kurz anzuhalten. Sie folgte dabei einem Weg für ein Stück, folgte ihm durch die Ablenkung allerdings viel länger als geplant: Drei Minuten Zeitverlust waren erneut die Folge. Besonders die läuferische Form aber macht ihr Mut, denn auch auf der Schlussrunde war es nicht pures Überleben, sie konnte auch dort noch pushen und gegenüber ihren direkten Konkurrentinnen Zeit gutmachen.
Als 40. (Erik Döhler) und 48. (Ole Hennseler) blieben beide deutschen Herren hinter ihren eigenen Erwartungen zurück. Beide gaben zu Protokoll, dass es von Anfang an nicht richtig lief.
„Schon auf der Warmupmap [bin ich] nicht gut angekommen“, erzählte Ole. „Ich habe schon die Posten gefunden, aber es kam mir alles ein bisschen merkwürdig vor und tatsächlich ging das leider so weiter. Es gab immerhin so ein paar Schneekanonen auf dem Weg zum ersten Posten die ich als sichere Punkte hatte. Aber ich war dann, als ich vor dem ersten Posten stand, doch sehr überrascht, dass er schon da ist. Posten zwei hab ich auch nicht perfekt getroffen. Also es war einfach von Anfang an nicht so richtig, dass ich Karte und Gelände zusammenbringen konnte. Bei der drei dann das komplette Desaster weil ich nicht gemerkt habe, wieviel ich bergab gelaufen bin und eine ganze Zeit gebraucht habe, bis ich mich einlesen konnte.“
Er glaubte auch nicht daran, dass er zu schnell gestartet war, denn normalerweise sei die Startphase bei ihm eher kontrolliert und der Respekt vor dem Gelände war da. Er machte es an den vielen negativen Höhenmetern zu Beginn fest – sie im Wettkampftempo runterzulaufen, darauf war er nicht gut genug vorbereitet. Das verletzte Knie machte im Verlauf des Rennens nicht so große Probleme wie gedacht, nur auf dem rutschigen Boden bergab auf der ersten Hälfte des Rennens spürte er es. Entscheidender für das unbefriedigende Abschneiden war wohl die daraus resultierende, suboptimale Vorbereitung in den Wochen zuvor.
Erik berichtete davon, zu schnell ins Gelände reingelaufen zu sein. Die Wechsel dort oben zwischen offenem Gelände und Baumbewuchs sind oft sehr schwammig, was in drei Minuten Fehler schon zum ersten Posten resultierte. „Als mich dann der Spanier schon einhatte war ich super gestresst. [Er] ist mir dann auch weggelaufen, und [da] hab mich dann auch plötzlich kaputt gefühlt im Kopf. [Ich bin] überhaupt nicht mit der Situation klar gekommen und habe einfach schon gedacht der Lauf ist damit sowieso schon vorbei. Ein 3 Minuten Fehler auf einer Langdistanz ist kein Weltuntergang, aber dass ich dann auch plötzlich das Gefühl hatte physisch nicht fit zu sein, weil der Spanier mir davongelaufen ist, hat es noch schwieriger gemacht“, rekapitulierte Erik nach einiger Auswertung am Abend.
Die nächste Möglichkeit eine WM-Langdistanz zu laufen ergibt sich erst in zwei Jahren in Finnland. „Ich will unbedingt halt mal nicht nur eine Langdistanz laufen und sie irgendwie durchziehen, sondern das abliefern was ich kann!“, motiviert sich Ole schon jetzt auf sein nächstes, langfristiges Ziel, auch weil in diesem Jahr wegen des Knies lange nicht klar war, ob er diese Langdistanz laufen kann. Und Erik zielt darauf, „dass es mal physisch und technisch funktioniert“. Nicht wie dieses Jahr, wo er sich in der Vorbereitung physisch so stark fühlte, es technisch am Wettkampftag aber nicht ins Gelände brachte.
Als frühgestartete Läuferin im Damenrennen durfte Paula Starke also eine Weile im Leader’s Chair verbringen. Eine halbe Stunde durfte sie dort ausharren, dann schlug sie die Französin Juliette Basset, die wiederum kurz darauf von Tereza Smelikova (SVK) mit starker Zeit abgelöst wurde. Erst als die Topläuferinnen starteten, ging es schnell in Richtung einer Zeit von neunzig Minuten.
Schnell wurde klar, dass dort an der Spitze zwei Rennen gelaufen würden – eines um die Goldmedaille, eines die Bronzemedaille. Von Beginn an lag Simona Aebersold (SUI) in Front und konnte im alpinen Bereich ihre Erfahrung perfekt ausspielen. Die Schwedin Tove Alexandersson startete einige Minuten hinter ihr. An der ersten Zwischenzeit lagen sie noch gleichauf, dann kostete eine unsauber ausgeführte Routenwahl zu Posten 4 die Schwedin Zeit.
Das Gelände wechselte zu einer schnellen, steilen Downhill-Passage, und dass Alexandersson soetwas kann, ist inzwischen wohl hinlänglich bekannt – spätestens seit sie bei den Golden Trail Series auch professionelle Trailläuferinnen düpierte. Sie holte auf dieser Passage eine Minute Rückstand auf. Dann wechselte das Gelände erneut, und wieder verlor Alexandersson Zeit, als es in eine flachere Passage ging.
Auch zu Beginn der Schlussrunde konnte Simona Aebersold auf ihre große Konkurrentin weiter Zeit herauslaufen. Vor der langen Routenwahl vier Posten vor Schluss lag sie 1:35 Minuten vor der Schwedin. Normalerweise ist das ein Zeitabstand, der für den Sieg reichen sollte: „Ja, aber [die Konkurrentin] ist Tove Alexandersson.“
Dieser Satz drückt aus, welchen Respekt die inzwischen 17-fache Weltmeisterin genießt. Und dann wählte Aebersold die falsche Route. Sie lief links von der Linie eine Route mit zwar etwas größerem Weganteil, die allerdings bei 110 Höhenmeter nur fünf sparte und 400 Meter länger war. Schon zuvor war klargeworden, dass diese Route eine gute Minute Zeit kostete. Zusätzlich hatte Aebersold den Nachteil, früher gestartet zu sein, so dass die Schwedin nach ihr auf der langen Passage im Zieleinlauf durchaus noch Zeit gutmachen konnte, wenn es knapp wurde.
Der GPS-Sender Alexanderssons hatte bereits zu Posten fünf aufgehört, das Signal zu senden, so dass man nicht wusste, wie die Schwedin die Route entscheiden würde. Als die Kamera zu dem Posten schaltete und Alexandersson zielstrebig bergauf lief, fürchtete jeder, der es mit der Schweizerin hielt, schon Schlimmstes.
Aber es reichte. 31 Sekunden trennten die beiden großen Konkurrentinnen der Gegenwart am Ende, und als die Zeit für Alexandersson ablief, war für die Schweizerin kein Halten mehr – die erste Einzelgoldmedaille vor heimischem Publikum. Breit grinsend winkte sie ins Publikum und gab später zu Protokoll, dass sie es wahrscheinlich erst in einigen Stunden oder Tagen verstehen würde, was sie geschafft hatte.
Um sieben Minuten konnten sich die beiden Topläuferinnen von der restlichen Konkurrenz absetzen. Umso enger war es in diesem Bereich. Megan Carter Davies (GBR) setzte eine erste Richtzeit - 90:50 Minuten. Kurz darauf setzte sich Natalia Gemperle vor sie, eine zweite Schweizerin mit Medaillenambitionen. Nur drei Minuten später wurde sie wieder verdrängt – die Norwegerin Andrine Benjaminsen war 6 Sekunden (oder 0,1%) schneller.
Elena Roos (SUI) verlor den Kampf um Bronze auf der letzten Routenwahl, zwar wählte sie richtig, doch sie schien zu platt, um dem Tempo der Konkurrentinnen noch folgen zu können. Und lange sah es so aus, als würde die letztgestartete Schwedin Sara Hagström schließlich das Rennen um die Bronzemedaille machen. Und auch sie kostete die letzte Routenwahl diese Medaille. Die linke Route, dann auch nicht in aller Konsequenz ausgeführt, die zwei Minuten Vorsprung waren dahin und es blieb nur Platz fünf.
Es wurde nicht so früh klar, doch letztlich war auch das Herrenrennen zwei in eins. Die erste richtig starke Zeit setzte der Tscheche Tomas Krivda. Schon bei den Testläufen im Juni hatte er seine starke Form und Beherrschung des Geländes unter Beweis gestellt. Als Medaillenkandidat war er trotzdem höchstens ein Geheimtipp. Er startete daher auch etwas früher als die anderen und konnte lange Zeit den ständigen Wetterwechsel mit zwischenzeitlich kräftigen Regenschauern im Leader’s Chair genießen.
Erster Anwärter, um ihm diese Position zu entreißen, war 45 Minuten später der Schweizer Altmeister Daniel Hubmann bei seiner 18. Weltmeisterschaft. Am Anfang ähnlich schnell, setzte dieser sich im Mittelteil etwas ab. Ein Fehler zu Posten 27 kostete etwas Zeit. Dann wählte Hubman zu Posten 32 – gleiche Verbindung wie die der Damen – die linke Route. Damit war klar, er würde Krivda nicht schlagen können. Zusätzlich hat er mit inzwischen 40 Jahren nicht mehr die Endschnelligkeit der jüngeren Athleten. Im Ziel hatte er 40 Sekunden Rückstand auf Krivda.
Es musste eine stressige Zeit für den Tschechen im Ziel sein, denn nur knapp drei Minuten später kam mit dem Schweden Emil Svensk der nächste Medaillenkandidat. Während der Strecke hielt er sich immer knapp hinter Krivda, bevor er auf den letzten drei Posten nocheinmal den Turbo zündete und immer näher an Krivda heranrückte. Der Tscheche fieberte im Ziel sichtlich angespannt mit, als Svensk auf die Zielpflichtstrecke einbog und die Sekunden viel zu langsam herunterliefen. Zeitgleich mit Krivda überquerte er die Ziellinie, und in dem Moment wuchs vielleicht schon die Hoffnung bei den Tschechen, dass es für eine Medaille reichen könnte. Irgendwie ging man schon davon aus, dass es so sein würde, als der Ukrainer Ruslan Glibov und die Schweden Regborn, Imark und von Krusenstierna zu viel Zeit verloren.
Völlig im Duell um den Sieg ging aber einer unter, der etwas dagegen hatte. Olli Ojanaho aus Finnland hatte sich früh einen kleinen Rückstand eingehandelt, dem er lange hinterherlief. Wie so oft an diesem Tage, war es die letzte Routenwahl, die diesen Kampf entschied. Ojanaho führte sie perfekt aus und schob sich an Krivda und Svensk vorbei, lief 15 Sekunden Vorsprung heraus, den er bis ins Ziel auch nicht mehr hergab.
Der Titelverteidiger Kasper Fosser aus Norwegen startete wie gewohnt stark. Er zeigte, dass er das alpine Gelände perfekt beherrschte und setzte sich am ersten TV-Posten in Front. Sein an diesem Tage größter Konkurrent verlor dort schon Zeit. Die erste Routenwahl zu Posten 5 führte Matthias Kyburz (SUI) nicht perfekt aus und hatte eine Minute Rückstand. Beide hatten schon vorher gestartete Läufer aufgelaufen, sodass sich auch in dieser Hinsicht keine großen Unterschiede ergaben. Auf der Downhill-Passage bis Posten 16 holte Kyburz die Zeit wieder heraus.
Dann passierte Fosser im Schmetterling, der mögliche Trams trennen sollte, eine kleine Ungenauigkeit. Mit einem riesigen Vorsprung von 14 Sekunden ging Kyburz auf die Schlussrunde. Und während Fosser sich von Posten 31 weg gerade den Berg hinauf quälte, wählte Kyburz die Route links.
Drei Schweizer also waren es, die diesen letztlich fatalen Fehler machten. Während viele Konkurrenten am Posten kurz stehen blieben, liefen sie konsequent auf die falsche Route los. Es bleibt Spekulation, ob sie sich im Team auf eine solche Routenwahl – vielleicht eher im Hinblick auf die Staffel – vorbereitet hatten, oder ob die falsche Entscheidung unter der Hektik des Wettkampfes getroffen wurde.
Letztlich konnte Fosser auf dieser Routenwahl eine Minute herausholen und sich so vor Matthias Kyburz zum neuen Langdistanzchampion krönen. Unglücklich wirkte der Schweizer darüber keineswegs, als er zufrieden ins Publikum jubelte. Der schönste Moment für Fosser dürfte gewesen sein, als Freundin Simona Aebersold ihn überglücklich herzte und die beiden Shootingstars zusammen Doppelgold feiern konnten.
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