06. Juli 2021
WM 2021 – Mitteldistanz – vier Deutsche im Finalrennen
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Heute war ein harter Wettkampftag für alle WM-Starter. Qualifikation und Finale über die Mitteldistanz an einem Tag zu laufen, in einem solch brutalen Gelände, ist wirklich hart. Bojan Blumenstein: "Physisch brutal, steil, steinig und grün."
Richtig gut, aber eben auch hart war es also für unsere vier der sechs deutschen Starterinnen und Starter, die sich für das Finale über die Mitteldistanz qualifizieren konnten – Bojan Blumenstein, Birte Friedrichs, Susen Lösch und Patricia Nieke. Allein, dass sich vier unserer Läufer:innen qualifizieren konnten, ist ein schöner Erfolg! Danke dafür!
Doch fangen wir vorne an:
Qualifikation
Aus jeweils drei Vorläufen qualifizierten sich jeweils die besten 15 Starterinnen und Starter für die Finalläufe. Und schon die Qualifikationsläufe hatten es in sich – viel Grün, viel Steigung, viele Granitfelsen und praktisch keine Wegrouten. Entsprechend lang waren die Laufzeiten.
Bojan Blumenstein, in Norwegen trainierend und Steine gewohnt, meisterte seinen Vorlauf mit reichlichen drei Minuten Rückstand auf den Schweizer Superläufer Matthias Kyburz und Platz 7 am besten. Bojan berichtete: "Ich lieferte ein gutes Rennen. Nur dreimal hatte ich Probleme im Postenraum, was mich je zehn Sekunden kostete. Ich hatte kein besonders gutes Gefühl unterwegs, aber Platz 7 in der Qualifikation zeigt, dass es ein solides Rennen war."
Für Ole Henseler war nach der Qualifikation Schluss – ganze drei Sekunden fehlten auf Platz 15, den der türkische Läufer Ahmet Kacmaz offenbar mit letzter Kraft verteidigte. Posten 7 und 10, eine kleine Felswand und ein Steinhaufen im diffusen Grün forderten offenbar zu viel Distanz- und Richtungsgenauigkeit von Ole. Außerdem ließ sich der erst 23-Jährige nach eigenen Worten von fremden Kontrollposten und damit von seinem bis dahin gut kontrollierten Lauf ablenken. Wie vielen anderen Läufern machten Ole auch die vielen, kleineren Steine und Felsgruppen zu schaffen, die nicht kartiert waren. Aber nach allem was wir hier sehen, haben die erfahrenen tschechischen Kartierer, die für detailreiche und genaue OL-Karten bekannt sind, wieder gute Arbeit geliefert.
Für Moritz Döllgast reichte es mit reichlichen zwei Minuten auf Platz 15 und über neun Minuten auf seinen Vorlaufsieger deutlich nicht fürs Finale. Er fühlte sich nicht zu 100% für die Welttitelkämpfe bereit, wollte mit einem kontrollierten Lauf seine kleine Chance wahren, nutzte sie auch bis Posten 5, verlor dann aber seine Coolness und stocherte zu oft und zu langsam im Grün herum. Erst als das Gelände wieder "deutscher" wurde, als Wege und offene Flächen als Auffangpunkte dienten, kam er wieder ins Rennen – aber leider zu spät.
Susen Lösch erlaubte sich bei vollem Tempo einige Unsicherheiten und Schlenker, qualifizierte sich in ihrem im Schnitt leistungsstärksten Vorlauf trotzdem klar.
Patricia Nieke wollte an ihrer ersten WM ins Finale laufen: "Ich bin sehr kontrolliert in Rennen gestartet und suchte immer so sichere Absprungpunkte wie möglich. Ab Posten 7 nahm ich nur noch die Beine in die Hand – und so reichte es insgesamt."
Birte Friedrichs erreichte mit ihrem 10. Platz sicher das Finale – das war ihr Leistungsziel: "Im Anfangsteil war ich eher langsam unterwegs, habe lieber ein paar Felsen mehr mitgelesen. Aber so konnte ich mir das Suchen ersparen."
Finale
Das Herrenrennen startete als Erstes, zu einer guten Fernsehzeit. Das Startintervall betrug zwei Minuten.
Bojan Blumenstein startete eingerahmt von den zwei tschechischen Läufern Milos Nykodym und Tomas Krivda. Bojan zeigte kleine Unsicherheiten an den ersten beiden Posten. Milos Nykodym vor ihm zeigte aber schon an Posten 3 viel blankere Nerven und leistete sich auf heimischem Boden einen Riesenfehler. Bojan konnte deshalb auflaufen. Bis Posten 13 liefen beide auf Sichtweite. Posten 13 war besonders fies – Grün und das Gebiet von Steinen übersät. Und einer der Steine diente als Postenstandort. Hier suchte Bojan zu lange. Physisch am Ende war der Zweiminutenabstand zu Nykodym im Ziel leider wieder hergestellt und Bojans Ziel einer Top-20-Platzierung leider genau um diese zwei Minuten verfehlt.
Susen Lösch ging ebenfalls mit dem Ziel Top-20 ins Rennen. Auf dem Weg zu Posten 2 hielten die deutschen Zuschauer den Atem an – Susen zeichnete mit ihrem Lauf eine deutliche Schleife in den Live-GPS-Plot der Karte. Obwohl der Absprungpunkt, eine Lichtung und die Kompassrichtung bergauf klar gewesen sein müssten, erreichte Susen nicht genug Höhe und lief weit an der richtigen Felswand vorbei – eineinhalb Minuten waren verloren. Da braucht es gute Nerven, das Rennen professionell weiter zu laufen. Aber das gelang Susen ab Posten 4 vorbildlich: "Ich lief dann sauber und schnell. Meine Beine fühlten sich schnell an." – Ziel erreicht, weiteres Potential ist vorhanden. Ehrlicherweise muss allerdings gesagt werden, dass in diesem diffusen Vorgebirgsgelände fast alle Athleten Fehler zeigten, sogar Tove Alexandersson, die Siegerin, leistete sich fast den gleichen Fehler zu Posten 2, und nicht nur den.
Birte Friedrichs hatte das Finale erreicht. Jetzt folgte die Kür. Aber: "Ich war nach der Quali platt und startete mit Kopfschmerzen. Schon am ersten Posten wurden die Beine schwer.". Mehrere kleine Schlenker und Unsicherheiten sowie langsames Tempo vor allem bergauf zeigen genau das. Aber große Fehler leistete sich Birte nicht. Das zeigt ihre insgesamt gute mentale Stärke.
Auch Patricia Nieke konnte nach Erreichung ihres Leistungsziels, der Finalteilnahme, entspannt in das Rennen gehen: "Es lief eigentlich rund. Der 38. Platz geht in Ordnung." Offenbar kontrollierte Patricia das Rennen technisch gut. Nur zum Posten 13 kam Patricia im Dickicht von der Richtung ab, fand sich auf der falschen Seite einer größeren Rippe wieder und musste erst einmal wieder ihre Position bestimmen.
Wer gewann? Bei den Damen siegte wieder einmal die Schwedin Tove Alexandersson mit über zwei Minuten Vorsprung vor der Norwegerin Andrine Benjaminsen. Und trotz des Riesenvorsprungs leistete sich die Schwedin deutliche Fehler, die in der GPS-Aufzeichnung auch nachträglich noch einsehbar sind. Bronze geht an die junge Schweizerin Simona Aebersold.
Matthias Kyburz holt die erste Goldmedaille für die Schweiz vor dem Schweden Gustav Bergman und dem Ukrainer Ruslan Glibov.
Und sonst?
Die heutige Entscheidung über die Mitteldistanz fand siebzig Kilometer nordöstlich des Sandstein-Eldorados mit dem WM-Zentralort Doksy statt. Hier, am Fuße des Isergebirges findet man steile und mit Granitsteinen übersäte Hänge. Die WM-Organisatoren wollten der Orientierungssportwelt dieses Kontrastprogramm zu den pittoresken Sandsteinfelsen bieten. Es herrschten hohe Temperaturen mit Sonne am blauen Himmel. Bis zu 2000 Zuschauer hätten in der Zielarena das Rennen live verfolgen können, wenn sie geimpft waren oder einen negativen Corona-Test vorweisen konnten. Aber nur rund 1000 Zuschauer fanden den Weg in die Zielarena. Das wird bei der kommenden Sprint-WM in Dänemark hoffentlich wieder anders. Und vielleicht trauen sich auch ein paar deutsche Fans sportlich Flagge zu zeigen, denn unsere Athleten sind motiviert, schlagen sich wacker und erreichen immer wieder kleine Achtungserfolge und das mit sehr viel Eigeninitiative.
Es folgen am Donnerstag ab 16:10 Uhr die beiden spannenden Staffelrennen und am Freitag ab 12:50 Uhr die Königsdisziplin, die Langdistanz. Bei allen Rennen startet unser Team in Bestbesetzung – Zeit zum Applaudieren!
Bei diesen Weltmeisterschaften entscheidet die IOF übrigens über Qualifikation für die World Games im kommenden Jahr in den USA. Für Deutschland werden die kommenden Staffelentscheidungen dabei ausschlaggebend sein. Eine Minimalplatzierung lässt sich dabei leider nicht angeben – das Berechnungssystem der IOF ist zu komplex. Sollte das deutsche Team aber die World Games – die "Olympiade" der nicht olympischen Sportarten – laufen dürfen, lobt der Förderverein Orientierungslauf für die Staffelläufer:innen einen Sportgutschein von je 200 Euro aus.
Weltmeisterschaften 2021 - Mitteldistanz
Damen 4,5 km Luftlinie 20 Posten 260 Höhenmeter
1 Tove Alexandersson SWE 38:12
2 Andrine Benjaminsen NOR 40:33
3 Simona Aebersold SUI 41:33
20 Susen Lösch GER 47:32
34 Birte Friedrichs GER 53:13
38 Patricia Nieke GER 56:17
Herren 5,4 km Luftlinie 24 Posten 320 Höhenmeter
1 Matthias Kyburz SUI 39:31
2 Gustav Bergman SWE 40:11
3 Ruslan Glibov UKR 40:18
31 Bojan Blumenstein GER 50:29
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