17. September 2020
Elitetipp im September: Die Kleinepfadrunde – Trainingsstrecke für alle Fälle
Normalerweise ist der Winter die Vorbereitungszeit des Orientierungsläufers mit wenigen Wettkämpfen und viel Vorfreude auf die neue Saison. Da ist es schon manchmal schwierig sich zum Sport zu motivieren. Seit Corona ist gefühlt das ganze Jahr Vorbereitung und nicht Wenigen fällt es immer schwieriger sich auf eine irgendwann mal kommende Wettkampfsaison vorzubereiten.
Da gibt es aber zum Glück den Elitetipp vom Februar 2004: Kleinepfadrunde – die Trainingsstrecke für alle Fälle. Weil der Tipp so schön geschrieben ist und damit die Älteren gleichzeitig in Erinnerungen schwelgen können veröffentlichen wir den Elitetipp von Rolf Breckle unverändert.
In meiner ersten Herren-Elite-Saison 1992 konnte ich auf Staffel und Kurzstrecken schon ganz gut mithalten, jedoch endeten die Klassikläufe jedes Mal im Hungerast. Ich schleppte mich die letzten 15 Minuten mit Schüttelfrost durch den Wald. Bei den Zwischenzeiten konnte ich bis zwei Drittel der Strecke gut mithalten, verlor aber im letzten Drittel jedes Mal fast 10 Minuten! Zum Beispiel beim BRL über 15km mit 500 Höhenmetern im September 1992 in Uslar war ich beim Kartenwechsel nach 50 Minuten nur 1 Minute hinter den Bestzeiten, jedoch im Ziel hatte ich 98 Minuten, der Sieger Michael Thierolf brauchte nur 89 Minuten.
Das musste anders werden! So analysierte ich mein Training und fand heraus, dass ich zu wenige längere Einheiten machte, 90 Minuten lief ich eigentlich nie im Training, wenn ich lang lief, dann 2 Stunden nur langsam. Ich lief auch zu wenig Höhenmeter im Training, weshalb ich am Ende von bergigen Strecken die Steigungen immer gehen musste. Ich trainierte zwar viel quer, aber wenn ich auf Wegen lief, dann immer auf befestigten.
Und so suchte ich mir fürs Wintertraining 1993 eine Trainingsrunde, die der Wettkampfzeit entsprach (also 90 Minuten), wenigstens 500 Höhenmeter hatte (wie eine Klassikbahn) und möglichst unwegsame Pfade nutzt. Es sollte eine Standardtrainingsrunde werden. Doch noch heute ist es meine Lieblingsstrecke– die Kleinepfadrunde.
So ging ich vor: Auf der OL-Karte meines Hauswaldes zeichnete ich Linien auf alle Pfade und undeutlichen Pfade, glücklicherweise gab es genug davon. Ich achtete immer darauf, dass an den Kreuzungen und Gabeln harmonische Abzweige genommen wurden. So entstanden mehrere Linien auf meiner Karte, die ich zu einer großen Schleife verband. Von Haustür zu Haustür waren es schließlich 18 km mit 500 Höhenmetern, davon 14 km auf möglichst kleinen Pfaden. Beim ersten Lauf im Januar 1993, den ich als Linien-OL absolvierte brauchte ich 91 Minuten.
Die Strecke erwies sich als ideal. War das Wetter grau und der Regen kam von der Seite, die Motivation quer zu laufen einfach nicht da, so hatte ich einen Grund gefunden es nicht zu tun. Denn die Kleinepfadrunde ist auch anspruchsvoll zu laufen und hat Steigungen. Auch im Sommer, wenn die Brennnesseln hoch standen, konnte man ebenfalls auf die Kleinepfadrunde ausweichen.
Zudem gibt es verschiedene Trainingsmöglichkeiten auf der gleichen Strecke: langsam gelaufen brauchte man fast 2 Stunden – gut für einen langen Dauerlauf; im mittleren Tempo war es ein gutes Ausdauertraining von 90 Minuten; flott gelaufen hatte man einen intensiven Dauerlauf von 75 Minuten. Lief man möglichst mit gleicher Herzfrequenz durch die ganze Strecke hatte man ein tolles Fahrtspiel für die Beine mit rasanten Bergabpassagen, lief man ein möglichst gleichmäßiges Tempo hatte man ein tolles Fahrtspiel für den Kreislauf. Lief man die Runde andersherum kamen recht viele Höhenmeter am Ende der Runde ...
Und das beste war eigentlich, dass man fast nie jemanden traf, selbst im stadtnahen Wald war man fast alleine. Die verschiedenen Abschnitte des Waldes waren herrlich zu durchlaufen, es war immer ein kleines Abenteuer: das steinige steile Bergab; oder der Pfad im Tal, der selbst im Sommer nach wochenlanger Hitze noch immer matschig war; die kleinen Serpentinen im Buchenwald; oder der undeutliche Pfad an der Kante des ehemaligen Kalksteinbruches ... wie ein kleiner Urlaub in einer Trainingseinheit.
Seit dieser Runde hatte ich nie wieder Motivationsprobleme im Winter und im Sommer nie wieder einen Hungerast auf einer Klassikbahn.
Natürlich lässt sich so eine Runde für jede Länge entwerfen, leider sind nicht alle Wälder mit kleinen Pfaden ausgestattet, wahlweise nimmt man Fußwege, Schneisen, undeutliche Pfade oder Wildwechsel. Auch haben leider nicht alle Hauswälder ausreichende Steigungen. Aber eine abwechslungsreiche Trainingsstrecke, die Spaß macht zu laufen gibt es (fast) überall.
Autor: Rolf Breckle
Ehemals Eliteläufer, Co-Trainer des C-Kaders, und heute Vereinstrainer
Der Elitetipp erscheint monatlich auf o-sport.de. In ihm werden verschiedene Leute über spezielle Themen im OL berichten, mit denen sie sich auskennen. Der Elitetipp soll dazu anregen, selbst darüber nachzudenken, was man alles besser machen könnte im OL.
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