09. Juli 2021
WM 2021 – unser Team bleibt über Langdistanz hinter Erwartungen zurück
Die Langdistanz ist die Disziplin, die quasi seit dem Beginn des Orientierungslaufs ausgetragen wird – klassisch, im Wald, im wieder mit langen Schlägen und großräumigen Routenwahlen, herausfordernd, physisch an die Grenze gehend, mit Siegerzeiten von 100 bzw. 80 Minuten bei den Herren respektive Damen, eben die Königsdisziplin.
Bei den letzten Nokian Tyres Weltmeisterschaften 2019 in Norwegen erliefen auf heimischem Boden Olav Lundanes und die Schwedin Tove Alexandersson die beiden Goldmedaillen. Alexandersson verteidigt ihren Titel heute wieder extrem eindrucksvoll, mit fast drei Minuten Vorsprung. Damit holte sie alle möglichen Goldmedaillen dieser WM, besitzt inzwischen 15 Stück aus diesem Edelmetall und insgesamt 26 WM-Medaillen. Bei den Herren entthront heute Kaspar Fosser seinen Landsmann. Er siegt mit über vier Minuten Vorsprung.
Aus deutscher Sicht erreichte Susen Lösch (USV Jena) vor zwei Jahren einen hervorragenden 19. Platz, Birte Friedrichs (MTV Seesen) kam auf Rang 38 ein und Bojan Blumenstein (OSC Kassel) wurde 26. als damals einziger deutscher Herrenstarter über den langen Kanten. Alle drei standen auch heute wieder für Deutschland an der Startlinie.
In diesem Jahr ist Deutschland aber auch bei den Männern in die Division Zwei der IOF-Nationenkategorisierung aufgestiegen. Deshalb durfte ein zweiter deutscher Herr starten und das ist der erst 21-jährige Riccardo Casanova von der OLG Regensburg. Er stahl den anderen Teammitgliedern bei den Nominierungsläufen die Show und empfahl sich für die heutige Königsdisziplin. Gestartet wird in umgekehrter Reihenfolge der Weltrangliste im Dreiminutenabstand.
Das Damenrennen aus deutscher Sicht
Birte startet sicher, holt schon auf dem Weg zum zweiten Posten die vor ihre gestartete Portugiesin Filipa Rodrigues ein, die sich einen Fehler leistete. Beide laufen ihr eigenes Rennen, nehmen manchmal verschiedene Routen und sehen sich doch immer wieder. Birte übernimmt oft die Führung, zeigt aber an den Posten 11 und 12 Unsicherheiten: "Ich suchte am Felsenhang in der falschen Ebene. Dann kletterte ich einmal die falsche Felsklamm hinunter und eine andere falsche wieder hinauf." Da war die Portugiesin weg.
Auch wenn Birte meint, die norwegische WM vor zwei Jahren war härter: "Ab der Arenapassage war ich platt." Birte wollte ihre Platzierung der letzten WM bestätigen. Das ist ihr mit Platz 36 gelungen.
Susen nahm sich wie Birte, die Bestätigung ihres Top-20-Ergebnisses vor. Das ist ihr mit Platz 22 knapp nicht gelungen. Ihre Selbsteinschätzung, technisch sicher zu sein, aber nicht das hohe Lauftempo zu haben, um derzeit weiter in die Weltspitze vorzudringen, ist wohl genau richtig.
Susen startet solide, nimmt die richtige Außerherum-Route, hält den Dreiminutenabstand zur hinter ihr gestarteten Lettin Sandra Grosberga. Aber sie treffen sich im Gegenlauf in der Nähe des zweiten Postens. Grosberga macht ab jetzt, vor allem mit ihrer Wegeroute zum Posten 7, Zeit gut und holt Susen dort ein. Bis ins Ziel laufen beide meist gemeinsam.
Das Herrenrennen aus deutscher Sicht
Riccardo ist Genießer: "Einerseits wünsche ich mir natürlich eine überzeugende Performance, aber das eigentliche Ziel ist, den Wettkampf zu genießen. Der Erfolg kommt dann hoffentlich aus der Positivität und dem Wettkampfwillen." Riccardos Lauf sieht solide aus, eigene Routen, viel allein gelaufen, keine Fehler. Riccardo passiert auf der Sichtstrecke kämpferisch die Zielarena. Die Anstrengung ist ihm anzumerken, so sehr, dass er sogar kurz seine Karte verliert. Im Ziel lächelt er alle an: "Hat Spaß gemacht, muss nur noch lernen, wie man so eine lange OL-Bahn angeht. Da habe ich doch mein Gel vergessen, einzupacken." Wir glauben: Mit mehr Tempo geht da was ...
Bojan möchte wahrscheinlich nicht, dass sein Lauf analysiert wird. Er kann und will sich steigern, will in die Top 20. Er fühlte sich gut am Start, trotz der gestrigen Staffel. Bis zum 4. Posten läuft auch alles soweit nach Plan. Zu Posten 5 wählt Bojan aber eine eher unübliche Route über Berg und Tal am Kartenrand entlang und ... prompt ist er aus der Karte raus: "Ich verwechselte Täler und dann die Wegkreuzung. Zuerst wusste ich nicht einmal, wie ich auf die Karte zurückkomme." Bojan läuft das Rennen mit erhobenem Haupt, teilweise mit nach ihm gestarteten Läufern zu Ende – Platz 45. Zur Top 20 fehlen diesmal rund 13 Minuten.
Damit enden die diesjährigen Nokian Tyres Weltmeisterschaften. Ein Dank gilt dem tschechischen Verband und den beteiligten Vereinen, die diese WM unter komplizierten Bedingungen sehr gut ausrichteten. Im nächsten Jahr findet die erste reine Sprint-WM vom 26. bis 30. Juni 2022 in Dänemark statt. Ist das für uns eine Reise zum Anfeuern wert? Unser Team hätte es verdient!
Nokian Tyres World Orienteering Championships 2021 Langdistanz
Damen 9,5 km Luftlinie 21 Kontrollposten 690 Meter Anstieg
1 Tove Alexandersson SWE 77:11
2 Natalia Gemperle NEU 80:09
3 Simona Aebersold SUI 80:28
22 Susen Lösch GER 92:40
36 Birte Friedrichs GER 101:54
Herren 13,6 km Luftlinie 29 Kontrollposten 1050 Meter Anstieg
1 Kasper Fosser NOR 95:55
2 Matthias Kyburz SUI 99:00
3 Magne Daehli NOR 101:53
38 Riccardo Casanova GER 120:13
45 Bojan Blumenstein GER 124:15
Und sonst?
Wegen eines angesagten Starkregens genau im Wettkampffenster kamen vergleichsweise wenige Zuschauer in die Zielarena und schauten sich lieber die Live-Übertragung im Fernsehen an. Am Ende hielt das trockene Wetter aber bis zum Ende.
Noch einmal WM-Staffel
Hier in Doksy kamen Rückmeldungen an, die einen statistischen Nachtrag zum gestrigen Staffelrennen nötig machen. In den frühen Jahren der Orientierungslauf-Weltmeisterschaften, konkret 1972 erreichte die damalige DDR-Männerstaffel (H. Conrad, H.-D. Baumgart, T. Schmalfeld, W. Jentsch) einen sechsten Platz. Mehrere Top-10-Platzierungen der ost-, west- und gesamtdeutschen Männerstaffeln folgten über die Jahre. Aber der gestrige achte Platz bedeutet die beste Platzierung einer Männerstaffel seit fast einem halben Jahrhundert. Liebe Fans unseres Nationalteams, nehmt diese Nachbetrachtung zum Anlass, über eine Unterstützung, gern auch finanzieller Art, nachzudenken, denn auch in diesem Jahr trainieren unsere Athleten nicht nur täglich, sondern zahlen auch noch viel Geld aus der eigenen Tasche für ihre Nationalkader-Zugehörigkeit. Der DOSV oder auch der Förderverein Orientierungslauf beraten Euch gern.
Entwarnung
Einige sahen Felix Späth gestern auf dem Operationstisch. Aber Felix griff während des Staffelrennens nur in einen Dornenbusch. Die Dornen konnten ohne Narkose professionell entfernt werden – Gefahr gebannt.
Oles zerrissenes Hemd mit den acht blutigen Streifen sah schon gefährlicher aus. Er verlor gestern in einer steilen Felspassage seine Karte, versuchte sie rückwärts zu greifen und stürzte dabei ein paar Meter zwischen den Felsen hangabwärts. Mit Adrenalin vollgepumpt, setzte er sein Staffelrennen bekanntermaßen erfolgreich fort. Jetzt wird Ole noch ein paar Nächte auf dem Rücken schlafen müssen. Später kann er seinen Kindern mit seinen acht Narben den achten Platz an der OL-WM 2021 erklären ...
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