14. November 2012
Trocken kann jeder - Stadt-OL von Venedig 2012
Die Nachrichten vom Hochwasser in Venedig waren bereits eine Woche vor dem XXXIII. Stadt-OL-Meeting durch alle Medien gegangen. 1,50 m hoch war da das Wasser auf dem Markusplatz gestanden. Nachdem in der Woche vor der Veranstaltung der Wasserstand wieder auf unproblematische Höhe zurückgegangen war, lautete die Ankündigung für den Veranstaltungssonntag erneut "Acqua alta". Rund 30 Zentimeter über Bordsteinkante waren vorhergesagt, durch örtliche Unwetter in der Umgebung wurden es jedoch bis zu 80 Zentimeter, starker Wind landeinwärts sorgte dafür, dass sich das Hochwasser in der Stadt hielt. Entsprechend abenteuerlich gestaltete sich der Stadt-OL-Klassiker in der Lagunenstadt. Tätliche Angriffe von Ladenbesitzern auf OLer, jede Menge nasse Füße und ein Abbruch des Starts durch die Polizei - dieser Stadt-OL hatte jede Menge dramatische Facetten.

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Am Samstag beim Park-O war noch alles normal und unter Kontrolle. Kein Hochwasser weit und breit, sowie mildes, trockenes Wetter sorgten für ideale Laufbedingungen. Aufgrund der Geländesperre des Stadtteils Sant'Elena für den WOC-Sprint 2014 fand der Samstagnachmittags-OL diesmal ebenfalls im Zentrum der Stadt rund um die Rialtobrücke statt. Entsprechend interessant waren auch die Bahnen durch das enge Gassengewirr, der OL somit weniger laufbetont als üblich. Knapp 400 Teilnehmer gingen in den insgesamt sieben Wertungsklassen an den Start. Aus deutsche Sicht schaffte es Ralph Körner (OLV Landshut) als Zweiter in MM2 aufs Podest, Wolfram Pohl (TV 1894 Coburg-Neuses) in MJ und Janeta Turka (TUS Karlsruhe-Rüppurr) in WM liefen als Viertplatzierte knapp am Podium vorbei. Dann kam der Sonntag und mit ihm der angekündigte Regen und das befürchtete Hochwasser. Bereits am Vorabend hatten die Organisatoren die Nullzeit von 9:00 Uhr auf 9:30 Uhr verschoben, um zeitlich etwas mehr Abstand vom Tidenhöchststand 8:30 Uhr zu bekommen. Das Wettkampfzentrum am Palasport Arsenale war nur zu erreichen, indem man sich kurzerhand Schuhen und Socken entledigte, die Hose hochkrempelte und schließlich und endlich durch das teils kniehohe Wasser vorwärtswatete. Viele Teilnehmer hatten sogar keinerlei Möglichkeit, aufgrund des eingeschränkten öffentlichen Schiffverkehrs und der unter Wasser stehenden Teile der Stadt den Wettkampfort überhaupt zu erreichen. Alle, die es schafften, konnten bei der Ankunft am WKZ bereits von einer weiteren Nullzeitverschiebung auf 10:00 Uhr lesen, der später noch eine weitere Verlegung auf 10:30 Uhr folgen sollte. Als das Wasser immer noch nicht entscheidend zurückging und kein Raum mehr für eine weitere Verschiebung bestand, entschieden sich die Organisatoren zu einem radikalen Schritt: die Startliste wurde aufgehoben und jeder der 4000 (!) gemeldeten Teilnehmer konnte seinen Startzeitpunkt selbst wählen und mit SI-Startstation selbst starten. Auch das Auslesen wurde kurzerhand vom ebenfalls teils überfluteten Zielareal ins Foyer der Sporthalle verlegt. Als Startfenster wurde 10:30 bis 13:30 Uhr bekannt gegeben.
Diejenigen, die sich gleich auf den Weg machten, mussten nicht nur bereits auf dem Weg zum Start durch knietiefes Wasser, auch unterwegs war das Vorwärtskommen in den teils oberschenkeltief überfluteten Gassen mehr als beschwerlich. Unweigerlich beschworen die vorbeilaufenden und spritzenden Läufer auch den Unmut von Stadtbewohnern, Ladenbesitzern und Touristen herauf. Einige Ladenbesitzer begannen mit regelrechter Selbstjustiz und griffen vorbeilaufende OL-Sportler mit Besenstielen, Schirmen und ähnlichem an, um sie zur weiteren Fortbewegung im Gehschritt zu drängen. Seitens der Ausrichter wurde zudem immer wieder auch auf die Gefahren einens möglichen Sturzes in einen Kanal aufgrund der teils unter dem Wasserspiegel nicht zu erkennenden Gehsteigkanten hingewiesen. Viele Gemeldete verzichteten unter diesen extremen Bedingungen gleich ganz auf ihren Start. Andere wiederum versuchten, möglichst spät zu starten, um bestmöglich zur Zeit der "Low Tide" um ca. 13 Uhr unterwegs zu sein. Insbesondere in den Eliteklassen war dieses "Pokern" um die besten Bedingungen zu beobachten. Doch wer zu lang wartete, sollte keine Gelegenheit mehr zum Start bekommen. Kurz nach 12:30 Uhr nämlich erschien die Polizei und brach den Start des Wettkampfes mit sofortiger Wirkung ab. Alle Läufer, die bereits unterwegs waren, hatten insoweit Glück und durften ihren Wettkampf zu Ende bringen. Sie fanden sehr gute Bedingungen vor: kaum Touristen in den Gassen und nur noch seltene, kurze Abschnitte knöcheltiefen Wassers ließen ein hohes Lauftempo zu und auch das Wetter präsentierte sich nun trocken mit sonnigen Abschnitten. Alle übrigen - darunter zahlreiche der angereisten Weltklasseläufer - hatten schlichtweg zu hoch gepokert und konnten nicht mehr starten. So begaben sich im Hinblick auf den für 2014 in Venedig geplanten WOC-Sprint viele Top-Athleten wie Daniel Hubmann, Øystein Kvaal Østerbø oder der mehrfache Venedig-Sieger Alessio Tenani am Nachmittag ohne offizielle Zeitnahme mit den ausgegebenen Karten auf die Strecke und führten den Stadt-OL als Training unter Wettkampfbedingungen durch. Menschenleere Gassen, trockener Untergrund und gutes Wetter versöhnten die Eliteläufer ein bisschen für die entgangene Wettkampfteilnahme.

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Letztendlich starteten von den rund 4000 gemeldeten OLern nur knapp 2500 Läufer. Besonders hoch war wie erwähnt der Schwund in den Elitekategorien: in der Herrenelite waren am Ende nur rund 50 von 100 gemeldeten Läufern klassiert. Trotzdem soll dies den Achtungserfolg von Jan Schmidt (TV 1894 Coburg-Neuses) nicht schmälern, der bei seinem ersten Venedig-OL auf den achten Platz in der Eliteklasse laufen konnte. Auch im Übrigen konnten die rund 75 deutschen Startern bisweilen gute Platzierungen erlaufen: Gerhard Horn (TGV Horn) wurde Zweiter in M 75, Isabel und Mareike Seeger (beide Baiersdorfer SV) belegten zeitgleich Rang vier in W 14, Renate Hirschmiller (TGV Horn) in W 40 und Gerda Kolloch (TSV Grünwald) in W 75 wurden jeweils Fünfte und Nikolaus Risch (ASG Teutoburger Wald) lief auf Platz sechs in M 60. Der sportliche Wert der Wettkämpfe insgesamt muss selbstverständlich angesichts der ungleichen Bedingungen über den Rennverlauf hinweg im richigen Kontext gesehen werden. So stieß die von den Organisatoren trotz aller Umstände durchgeführte Siegerehrung und Preisverleihung vielfach auf Unverständnis bei den anwesenden Teilnehmern. Der Vertreter des größten Vereins erhielt für seine dahingehende Äußerung bei seiner Ehrung entsprechend großen Applaus. Da allerdings beim Stadt-OL von Venedig für die breite Mehrheit der Teilnehmer ohnehin mehr das Erlebnis denn das Ergebnis zählt, waren sich zumindest die Angehörigen der rund 100-köpfigen bayerischen Reisegruppe weitgehend einig: diese ganz spezielle Auflage des Stadt-OLs war es in der Tat wert, dabei gewesen zu sein. Niemand hätte im Nachhinein dieses besondere Abenteuer missen mögen! Bleibt nur zu hoffen, dass angesichts der diesjährigen Vorkommnisse der "OL-Leckerbissen" Stadt-OL Venedig auch in den kommenden Jahren weiterhin zum Saisonende in den Terminkalendern stehen wird. Update 29.11.2012: Mittlerweile haben die Organisatoren beschlossen, dass im Jahr 2013 der Stadt-OL von Venedig nicht stattfinden wird, um die Durchführung des WM-Sprints im Jahr 2014 nicht zu gefährden. Über die Durchführung in den darauf folgenden Jahren wurde noch nicht entschieden. Das offizielle Dokument der Organisatoren gibt es hier nachzulesen.
Mehr:
Homepage Stadt-OL-Meeting von Venedig
Ergebnisliste Park-O von Venedig
Ergebnisliste Stadt-OL-Meeting von Venedig