24. August 2020
Die Pilzsammlerin
Im August fand ich von Sportfreund Richard Samohyl von TJ Praga - Praha eine Einladung zum GOF für interessierte Sportler. Wir Radsportler aus dem Raum Zwickau freuten uns auf diese Möglichkeit des Wettstreites, die damals noch die Ausnahme war: Für uns gab es keine Frage - wir fahren hin!
Bei strahlendem Wetter fuhr unser Konvoi, Trabant 601 2 Räder auf dem Dach mit Hans Schütze und Wolfgang Scheffler, Trabant 500 oben 2 Räder mit Reinhard Heeg, Frau Christine und Wolfgang Kirchner sowie auf dem Motorrad Simson Sport Tasso Froese und als Techniker Gerhard Johnat von Werdau über Karlovy Vary nach Prag
Das Treffen mit den tschechischen Sportfreunden war für 15 Uhr an der altehrwürdigen Karlsbrücke vereinbart. Aber bitte wo - auf der linken oder rechten Seite? Kein Problem, da wir im vorab unsere Fahrzeugkennzeichen mitgeteilt hatten, wurden wir sehr schnell von „Emil" unserem tschechischem Begleiter „gefunden". Vorsorglich hatten die Prager Sportfreunde links und rechts der Moldaubrücke Posten für uns aufgestellt.
Mit Emil ging es dann zur Sportschule nach Dobřichovice ca. 25 km südlich von Prag. Wir waren in einem weitläufigen, hügeligen Gelände mit großen dichten Wäldern auf den Bergen. Dieses Terrain zwischen der Staatsstraße Nr.5 Prag - Beroun und der Staatsstraße Nr.4 Prag - Pribram wird geteilt durch das Flüsschen Berounka - unser Wettkampfgelände.
Die Unterkunft im Gelände der Sportschule war gut, nur meine Christine empfand es neuartig, als einzige Frau bei 16 Männern zu schlafen.
Sonntagmorgen - 9 Uhr 30 Start. Es gab gute bunte OL - Karten ohne jede Beschriftung. Damals war diese Qualität bei uns noch selten - in der Regel hatten wir braun/weiße Messtischblätter oder schwarz/weiß Kopien. Die ersten zwei Posten waren relativ sehr weit entfernt. Vom Start bis Posten 1 und von da zu Posten 2 waren es jeweils ca. 6 km mit 580 m Höhenunterschied. Die Reihenfolge der Posten war vorgeschrieben und wurde an einer Station, direkt am Start und dem späteren Ziel, kontrolliert.
Nach langem mühevollem Aufstieg befand ich mich nun auf dem Bergrücken mitten im dichten Wald wo sich mehrere Wege kreuzten - und hatte die Orientierung verloren. Einen Kompass mitzuführen wurde als unnötiger „Ballast" empfunden. Da stand ich nun im fremden Wald, im fremden Land und keiner zu sehen.
Aber halt, zwischen den Beerensträuchern bewegte sich eine ältere Frau beim Pilze sammeln. Mit dem Mut der Verzweiflung nahm ich all meine geringen tschechischen Sprachkenntnisse zusammen und sprach sie an.
„Dobry den" (Guten Tag) „Prominte, prosim" (Entschuldigen Sie bitte) „ znat, my mluvit kde se misto" (Können Sie mir sagen wo dieser Platz ist?) und zeigte ihr die Karte mit den Posten.
„Sie seien Deitscher - aber kennen Weg nicht? Ich nickte eifrig und dachte welch ein Glück, eine freundliche Frau gefunden und sie kann deutsch! Ruhig griff Sie in ihre alte Pilztasche und entfaltete mit der größten Selbstverständlichkeit ein Messtischblatt und holte zu meiner Überraschung aus der Jackentasche einen Kompass und nordete die Karte ein - ich war sprachlos. "Also schau'ns, heut morgen bin ich da hier los,- da war`n die Steinpilz und da ,die bei den Birken und jetzt" - sie machte würdevolle Pause- „und jetzt sammer hier" und zeigte auf eine Kreuzung. „Zeigens ihre Mappe" (Karte) fix reichte ich das OL - Blatt „ja, das ist da“. SchneII bedankte ich mich mit "mnohy srdečne diky!" (vielen, herzlichen Dank!)
Minuten später war der Posten gefunden, die Orientierung klappte und von da an lief der weitere Wettkampf zu meiner Zufriedenheit. Spfrd. Scheffler kam mit diesen Bedingungen am besten zurecht und konnte das Rennen als Sieger vor der starken tschechischen Konkurrenz beenden. Mit den Plätzen 6, 7, 8 und 13 für Hans Schütze, Tasso Froese, Reinhard Heeg und Wolfgang Kirchner waren wir durchaus zufrieden, hatten wir doch alle einiges gelernt, dazu eine Lektion in Gastfreundschaft und der Bedeutung des Kompasses erhalten.
Mit dieser Anekdote von Reinhard Heeg aus dem Jahr 1970, welcher leider viel zu früh Ende 2019 verstarb, möchten wir unseren Aufruf wiederholen. Wir finden es wichtig, die Geschichte, unsere Geschichte, festzuhalten. Zahlen haben wir schon viele, was jedoch fehlt sind alte Fotos aus dieser Zeit. Wir sind uns sicher, dass auch ihr noch das ein oder andere Stück MTB-O Geschichte in euren Schränken schlummern habt und wären euch sehr dankbar, wenn ihr uns vor allem Fotos aber gerne auch noch fehlende Ergebnisse oder alte Berichte zusenden könnt. Bitte schickt uns Fotos mit möglichst vielen Quell-Angaben (Wer, Was, Wann und Wo) an mtbo-presse@o-sport.de.