29. Juni 2022
Gelungene WM-Premiere im KO-Sprint
Die ersten Weltmeister in der neuen Disziplin KO-Sprint sind gekürt. Es gewinnen die großen Favoriten Tove Alexandersson aus Schweden und Matthias Kyburz aus der Schweiz. Die deutschen Starter Bojan Blumenstein und Colin Kolbe qualifizierten sich fürs Viertelfinale, in dem sie aber unglücklich ausschieden.
Wohnblöcke mit vielen Hecken und kleinen Durchgängen charakterisierten den ersten Teil der Qualifikation. Es folgte eine lange Routenwahl durch die Befestigungsanlage der alten Militärfestung Fredericia, bevor es in die quadratisch angelegten Häuserkarrees innerhalb der Wallanlage ging. Von den deutschen Startern am besten kam Colin Kolbe mit diesen Bedingungen zurecht. Mit 19 Sekunden Rückstand wurde er Vierter in seinem Qualifikationsheat. Deutlich knapper war die Qualifikation bei Bojan Blumenstein, der sich als 12. mit einem Puffer von geradeeinmal einer Sekunde qualifizierte. Erik Döhler verpasste als 19. das Finale um 28 Sekunden.
Auch die deutschen Damen verpassten die Qualifikation fürs Viertelfinale teils äußerst knapp. Patricia Nieke fehlten als 13. nur zwei Sekunden, Susen Lösch wurde mit 8 Sekunden Rückstand auf Platz zwölf 14. 32 Sekunden fehlten Birte Friedrichs als 16.
Colin zeigte sich nach seiner Qualifikation zufrieden. Zu Beginn lief es bei ihm auch technisch wie auch physisch gut. Auch von einer suboptimalen Ablaufrichtung zu Posten 12 ließ er sich nicht bremsen, als er zunächst noch eine andere Route geplant hatte, dann ein Sperrgebiet sah und spontan umentschied, sodass er einige Meter extra machte. Weil er anschließend richtig Gas gab, hielt sich der Zeitverlust in Grenzen.
Bojan verpasste die Sprintstaffel noch krankheitsbedingt und spürte auch in der Qualifikation noch die Nachwirkungen. Vom ersten Posten an fühlten sich die Beine mies an, nach zwei Tagen im Bett mit Magenproblemen wohl kein Wunder. Technisch kam er gut durch, auch wenn er nicht alle Routen optimal wählte, sodass es am Ende reichte.
Erik verpasste die Qualifikation, nach der Hälfte brach er ein. Der Sport sei ehrlich und zeige ziemlich deutlich, wer gut und wer schlecht trainiere, und ihm fehle das Training der letzten vier Wochen, die er durch Verletzung nur alternativ trainieren konnte. Mit der Hoffnung, dass es schnell wieder bergauf gehen wird, blickt er weiter in Richtung des Einzelsprints.
Äußerst knapp an der Qualifikation schrammte Patricia vorbei. An den Beinen lag es laut eigener Aussage nicht, vielmehr hatte sie im Anfangsteil Schwierigkeiten zu überblicken, wo sie entlanglaufen konnte. Zu oft erwischte sie dabei die schlechte Route. Als gegen Ende die Routenwahlen klarer wurden, verplemperte sie zu viel Zeit damit zu entscheiden. Natürlich holte sie bis ins Ziel alles aus sich heraus, war im Ziel aber eher überrascht, dass es noch so knapp wurde.
Weder Susen noch Birte konnten sagen, woran es bei ihnen konkret lag, dass sie die Qualifikation verpassten. Beide zeigten sie sich enttäuscht und traurig.
Im Viertelfinale war jedoch sowohl für Bojan als auch für Colin Schluss. Bojan bilanzierte, dass er technisch und taktisch nicht viel hätte besser machen können. Er hatte die letzten Routen gut vorgeplant und hoffte, dass in der Gruppe Fehler gemacht würden, vor allem auf der komplizierten Verbindung zu Posten 7. Die komplette Gruppe lief jedoch fehlerfrei, sodass das Rennen auf den letzten beiden Posten im Zielsprint entschieden wurde. Dort hatte er gegen Kyburz und die Anderen keine Chance. Er tröstete sich jedoch damit, dass seine Zeit in fast allen anderen Viertelfinals gereicht hätte – abgesehen davon, dass dort taktisch vielleicht anders gelaufen wurde.
Wirklich unglücklich geriet Colins Viertelfinallauf. Nach der Quali wusste er, dass er physisch gut drauf war und war taktisch sowohl auf ein Ausscheidungsrennen als auch auf ein taktisch geprägtes Rennen eingestellt. Zu Beginn wurde locker losgelaufen, sodass er auf der langen Verbindung zu Posten drei entschied, das Tempo anzuziehen und eine Lücke aufzubauen. Allerdings sah er kurz vor Posten 3 keine Route zur 4 und anstatt „cool“ stehenzubleiben lief er einfach weiter. Die Tram lief zunächst hinter ihm her, bemerkte den Fehler jedoch schneller und kehrte um. Versehentlich lief er im Stress dann auch noch durch ein Sperrgebiet, da er die direkte Route nochimmer nicht sah. Entsprechend enttäuscht war er schließlich im Ziel, denn die physische Form hätte reichen können, um sich fürs Halbfinale zu qualifizieren.
Angesichts der hohen Zahl an Viertelfinals, soll auf die einzelnen Läufe nicht näher eingegangen werden. Den Beginn in den Halbfinals machten die Herren. Wie schon die Viertelfinale wurden sie ausschließlich im Zielsprint entschieden. Recht eindeutig war dabei noch das erste Halbfinale, in dem sich Kris Jones (GBR) und Matthias Kyburz (SUI) durchsetzten. Wie schon fast üblich erfolgte auf der letzten längeren Routenwahl der Antritt von Kyburz. Fast bog der Schweizer in eine falsche Gasse ab, was die nachfolgenden Läufer aber mehr verwirrte als ihn selbst.
Dramatisch wurde es aber in den folgenden Halbfinalen. Gleich auf der Startrampe geriet der Franzose Loic Capbern – vielleicht durch eine Falte im Teppich? – ins Straucheln und stürzte. Er konnte sich jedoch aufrappeln und bald den Anschluss an die Tram wiederfinden. Den Hauptteil der Strecke führte der Tscheche Vojtech Kral das Feld an. Ein Weiterkommen wäre bei seinem Einsatz verdient gewesen, letztendlich wurde er im Zielsprint jedoch gleich von vier nachfolgenden Läufern übersprintet. Es setzten sich Jonatan Gustafsson (SWE) und der Unglücksrabe vom Start, Capbern, durch.
Fast identisch erwischte es im dritten Halbfinale den ebenfalls aus Startgate drei startenden Schweden August Mollen. Er stürzte ebenfalls, mit dem Kopf voran in Richtung einer Laterne. Kurzzeitig dachte auch das Kommentatorenduo, der Schwede müsse sein Rennen schon aufgeben, doch er rappelte sich auf und setzte dem Feld nach. Er profitierte auch von dem zunächst eher gemächlichen Tempo, bevor auch hier im Finale die Post abging. Der Norweger Eirik Langedal Breivik attackierte, Mollen, Tim Robertson (NZL) und der Brite Ralph Street folgten. Alle drei hatten das längere Stehvermögen, im Zieleinlauf boxte sich Mollen gegen Robertson und Street durch.
Gemütlich ins Ziel joggen konnten in Halbfinale eins der Damen Tove Alexandersson (SWE) und Simona Aebersold (SUI). Bis zur Arenapassage noch in der Tram unterwegs teilte sich das Feld in der folgenden Routenwahl auf. Hier lagen zwei Routen sehr parallel und die Verfolgertram kreuzte die rote Linie der zweiten Route, sodass sie zum falschen Posten orientierte. Zwei Läuferinnen bemerkten den Fehler noch, die Favoritinnen waren jedoch schon enteilt. Positiv hervorzuheben: Die Norwegerin Victoria Haestad Björnstad bemerkte den Fehler auf dem Rückweg zur Arena und lief trotz enormen Rückstands zurück, um das Rennen in Wertung zu beenden.
In Halbfinale zwei wurde es enger, erst die letzte Routenwahl entschied das Rennen, eine große Medaillenkandidatin schied in Andrine Benjaminsen (NOR) aus. Im Zielsprint setzten sich Megan Carter Davies (GBR) und Eef van Dongen (NED) durch.
Etwas kurios wurde es im dritten Halbfinale. Die Ukrainerin Kateryna Dzema legte los wie die Feuerwehr, orientierte jedoch bald zu unsauber und wurde vom Rest des Feldes wieder gestellt. Gemeinsam mit der Britin Charlotte Ward, die ihren Qualifikationsheat überlegen gewann, nahm sie eine schlechte Route zu Posten 3 und geriet ins Hintertreffen. Vorn setzten sich an der Routenwahl zu Posten 7 in Lina Strand (SWE) und Elena Roos (SUI) die zwei stärksten Läuferinnen ab. Sie übersahen jedoch eine Sackgasse und liefen hinein, sodass die nachfolgenden Läuferinnen wieder aufschließen konnten. Zuerst ins Ziel lief schließlich die Polin Aleksandra Hornik, die aber später disqualifiziert wurde. Sara Hagström (SWE) gewann den Sprint dahinter, auch Lina Strand schaffte glücklich noch den Finaleinzug.
Das Damenfinale war fast durchgängig sehr einseitig. Durch eine Routenwahl setzten sich Tove Alexandersson und Megan Carter Davies gleich zum ersten Posten ab. Und das sollte der einzige Zeitpunkt bleiben, an dem überhaupt eine Starterin das Tempo der Schwedin mitgehen konnte. Nach einer nicht ganz optimalen Routenwahl zum dritten Posten verlor Carter Davies den Kontakt zu Alexandersson, die unaufhaltsam davonzog. Am Arenadurchlauf waren es schon neun Sekunden, später zwischenzeitlich sogar achtzehn Sekunden Vorsprung. Nach dem Rennen sprach die Siegerin davon, dass sie im Finale sehr fokussiert war, es sei ihr bester Lauf gewesen. Die Niederländerin Eef van Dongen heftete sich an die Fersen Carter Davies‘, hinter ihr konnte die Schweizerin Simona Aebersold das Tempo nur noch bis zur Arenapassage mitgehen. Die zweite Hälfte des Rennes brachte keine wesentlichen Veränderungen mehr mit sich. Aebersold versuchte noch mit einer Routenwahl zu Posten 8 auf die Medaillenränge vorzustoßen, die beiden vor ihr liefen jedoch schneller. Im Zielsprint konnte sich Carter Davies schließlich vor van Dongen durchsetzen. Die Niederländerin konnte die erste WM-Medaille für die kleine OL-Nation erkämpfen. Aebersold musste sich im Schlussspurt noch der Schwedin Sara Hagström geschlagen geben und landete vor Lina Strand (SWE) auf Rang 5.
Deutlich enger ging es im Herrenfinale zu. Der Neuseeländer Tim Robertson ergriff vom Start weg die Initiative und wählte seine Routen unabhängig vom Rest des Feldes – und wählte jedes Mal die auf dem Papier bessere Route. Er führte bis zum neunten Posten zwar, dass er jedoch keine Lücke herauslaufen konnte, lag daran, dass er meist allein auf seinen Routen unterwegs war. Dicht in der Tram kamen die Läufer an Posten 9 an, der spätere Sieger Matthias Kyburz aus der Schweiz gab später im Siegerinterview zu Protokoll, dass er diese Routenwahl für seine Attacke zu nutzen geplant hatte. Und so kam es, er wählte eine andere Route als Robertson und zog das Tempo an, August Mollen folgte. Die Route war minimal schneller als die Robertsons, dem der zweite Schwede im Finale, Jonatan Gustafsson, folgte. Im Zielsprint überholte auch dieser noch. Es gewann Matthias Kyburz vor Mollen und Gustafsson. Tim Robertson wurde vierter, gefolgt von Loic Capbern und Kristian Jones, der früh in die Defensive geraten war.
Alles in allem waren die Wettkämpfe am heutigen Tag hochspannend. Kritisch überdenken kann man vielleicht die Konzeption des KO-Wettbewerbs. In keiner der drei Finalrunden kam irgendeine Art der Gabelung zum Einsatz. Die Routenwahlen waren zwar gut und schwer zu entscheiden – vielleicht sogar zu schwer, sodass sich mitunter niemand traute eine eigene Wahl zu treffen. Und gerade im Finale verkam es so zu einem reinen Laufwettkampf, in dem der/die stärkste LäuferIn die besten Chancen hatte, nicht der/die stärkste OrientiererIn. Taktik spielte eine größere Rolle als das Orientieren selbst. Im Herrenfeld beispielsweise entschied der Neuseeländer Tim Robertson vor allem im Anfangsteil sämtliche Routen richtig und unabhängig vom Feld, den größten Teil des Rennes führte er. Es brachte ihm aber keinen Nutzen, denn die anderen Läufer konnten in der Tram unterwegs immer wieder an ihn heranlaufen und ihn schlussendlich übersprinten. Auf gar keinen Fall soll den LäuferInnen damit ein Vorwurf gemacht werden und in Frage gestellt werden, ob sie selbstständig orientierten und sich unabhängig für die gewählten Routen entschieden. Letztendlich war es aber möglich eine Medaille zu gewinnen, ohne selbst in die aktive Entscheidungsfindung der Tram einzugreifen. Sicherlich kann man die Disziplin Knock-Out auch anders sehen als ich es tue, die Wettkämpfe waren ja trotzdem unglaublich spannend. Es hätte der Spannung aber auch keinen Abbruch getan, wenn ein übersichtliches Gabelungssystem integriert worden wäre.
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